Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Interview mit Dr. Poulomi Ganguli zum Zusammenhang von Hitzewellen und Starkregenereignissen

Interview │Die Hydrologin Dr. Poulomi Ganguli identifiziert Hochwasser-Hotspots in Indien und erforscht aufeinanderfolgende Naturgefahren, insbesondere extreme Hitzewellen und Starkregenereignisse.

Als WiSER-Preisträgerin ('Women Involvement in Science and Engineering Research') plant Dr. Poulami Ganguli die Entwicklung einer wahrscheinlichkeitsbasierten Methode zur Identifizierung von Hochwasser-Hotspots und damit assoziierten Gefahren, insbesondere aufeinanderfolgenden extremen Hitzewellen und kurzandauernden Starkregenereignissen. Im Interview erzählt sie uns mehr zum Thema und ihrem Projekt, welches sie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen GeoForschungsZentrum durchführt.
 

Frau Dr. Ganguli, Ziel Ihres Projekts ist die Entwicklung eines wahrscheinlichkeitsbasierten Instruments zur Identifizierung von Überschwemmungsschwerpunkten in Indien sowie den damit verbundenen Gefahren. Wenn Sie all Ihre Projektziele in den kommenden Jahren erreichen, welche Veränderungen bei der Vorhersage von Überschwemmungen könnte dies für Ihr Land bringen?

Dr. Poulomi Ganguli: Unser derzeitiges Projekt zielt darauf ab, ein Rahmenkonzept für verknüpfte Überschwemmungsgefahren zu entwickeln. Diese Gefahren ergeben sich aus aufeinanderfolgendem feuchtem Hitzestress und extremen Regenfällen. Wir untersuchen deren potenzielle Ursachen. Bislang berücksichtigen die meisten Modelle zur Bewertung des Hochwasserrisikos in Städten in Indien nur einen einzigen Faktor, nämlich starke Regenfälle, die zu Überschwemmungen und Überflutungen führen.

Ziel dieser Studie ist daher die Entwicklung eines klimainformierten Modells zur Bewertung des pluvialen Hochwasserrisikos. Das Modell soll auf Wahrscheinlichkeiten basieren. Es wird städtische Siedlungen identifizieren, in denen die Kombination von Hitzestress und extremen Regenfällen ein anhaltendes Problem darstellt. So können die Akteure und Stadtverwaltungen darüber informiert werden, wie sie die Konstruktionsstandards für bestehende Wasserbauwerke auf den neusten Stand bringen können. Die gewonnenen Erkenntnisse beschränken sich aber nicht nur auf Maßnahmen zur Anpassung an Überschwemmungen und deren Abschwächung. Die Forschung hilft auch dabei, Gebiete und städtische Siedlungen zu identifizieren, die anfällig für sequenzielle Klimagefahren und Hitzestress-Starkregen-Ereignisse sind. Die Hoffnung ist, dass Regierungen und andere Organisationen diese Informationen nutzen können, um die Vorhersagbarkeit von kurzandauernden extremen Regenfällen und damit verbundenen Gefahren zu verbessern.  So können sie Anpassungsstrategien entwickeln, die die Widerstandsfähigkeit erhöhen.
 

Ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Auftreten von extremem Hitzestress und Starkregenereignissen. Können Sie uns mehr über die Zusammenhänge solcher Extremereignisse erzählen? Wie werden Sie die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten verbessern?

Mit dem globalen Klimawandel sind aufeinanderfolgende Gefahren wie Hitzewellen und extreme Niederschläge häufiger und schwerwiegender geworden. Extreme Hitze kann die Instabilität der Atmosphäre fördern, was zu konvektiven Entwicklungen (Anm. d. Red.: Aufstieg von warmer Luft) und starken Regenfällen führt.

Große Hitze und starke Regenfälle mögen für sich genommen nicht gefährlich sein. Allerdings kann ein schnelles und aufeinanderfolgendes Auftreten von "heiß-nass"-Gefahren katastrophale Folgen haben, da die Erholungszeit zwischen den beiden Gefahren gering ist. Starker Hitzestress kann zu hitzebedingten Krankheiten, zum Verlust der Arbeitsproduktivität und sogar zu Todesfällen führen. Starker Hitzestress bedroht die Funktionsfähigkeit von Stromnetzen zudem genau dann, wenn Klimaanlagen am dringendsten benötigt werden. Außerdem können große Überschwemmungen zur Überflutung kleiner städtischer Wassereinzugsgebiete führen und kritische Infrastrukturen zerstören. Ein Beispiel sind die schweren Hitzewellen in Indien Ende 1998, die mehr als 2500 Todesopfer forderten. Innerhalb von zwei Wochen nach der Hitzewelle folgten durch tropische Wirbelstürme ausgelöste Unwetter, die wiederum zu extremen Regenfällen führten. Davon waren über 4,6 Millionen Menschen betroffen [2]. Auch die Region Queensland in Australien wurde 2019 von einer Hitzewelle und Überschwemmungen heimgesucht. Das verursachte wirtschaftliche Schäden in Höhe von über 1,2 Milliarden US-Dollar [3].

Der herkömmliche Risikobewertungsrahmen berücksichtigt nur die Gefahren eines einzelnen Auslösers, z. B. durch extreme Niederschläge verursachte Überschwemmungen. Dagegen ist ein multivariater wahrscheinlicheitsbasierter Gefahrenrahmen, der Hitzewellen/Extremtemperaturen und die damit verbundenen Merkmale als potenzielle Ursache(n) für Starkniederschläge berücksichtigt, noch wenig bekannt. Hier wollen wir eine Reihe von wahrscheinlichkeitsbasierten Instrumenten entwickeln, die die nichtlinearen Wechselwirkungen zwischen den miteinander verbundenen Faktoren, die sich auf Hitzewellen und extreme Niederschläge auswirken, erfassen können. Sie können auch die Vorhersagbarkeit seltener Niederschlagsereignisse in einem sich erwärmenden Klima verbessern. Die Erkenntnisse aus dieser Studie und die entwickelten wahrscheinlichkeitsbasierten Modelle können die Echtzeit-Vorhersage von Überschwemmungen in Städten und die Frühwarnung verbessern.    
 

Was war in der Startphase Ihres Projekts besonders wichtig?

Der entscheidende Teil des Projekts liegt zum einen darin, hydrometrische Beobachtungsdaten zu sammeln. Zum anderen müssen wir die  multivariaten* wahrscheinlichkeitsbasierten Methoden/Werkzeuge genau verstehen. Die Sammlung von Langzeitbeobachtungen stellt vor allem für Entwicklungsländer wie Indien eine besondere Herausforderung dar. Aber eine angemessene Kenntnis probabilistischer Instrumente ist notwendig, um die kumulativen Auswirkungen von miteinander verknüpften Extremereignissen zu untersuchen. Der Grund dafür ist, dass es sich bei solchen Ereignissen um Kombinationen mehrerer Variablen handelt, die sich gegenseitig beeinflussen. Dies hat eine größere Auswirkung, als wenn jede dieser Gefahren isoliert auftritt.   
 

Gibt es einen Ratschlag, den Sie als Preisträgerin anderen Wissenschaftler:innen, die ihre eigenen Projekte leiten, mit auf den Weg geben können? Welche Fähigkeiten - abgesehen von denen, die spezifisch für Ihr Forschungsgebiet sind - sind besonders gefragt?

Ein Ratschlag könnte meines Erachtens sein: Überprüfe immer noch mal die Problemdefinitionen und konzentriere dich auf ein Forschungsproblem, das einen Einfluss auf gesellschaftliche Herausforderungen hat und somit auch eine praktische Komponente. So kann man als Wissenschaftler:in die Lösung von Problemen in der realen Welt voranbringen.


Was sind die nächsten Schritte für Sie und Ihr Projekt?

Extreme hydrologische Ereignisse, wie aufeinanderfolgende Gefährdungen, sind in Zeiten des Klimawandels fast zur Norm geworden. So erlebte Europa im Jahr 2021 einen Rekordsommer, der zu einer intensiven und langanhaltenden Hitzewelle im Juli und August im Mittelmeerraum führte. Interessanterweise ging dies mit schweren Überschwemmungen in Westeuropa aufgrund starker Regenfälle einher. Das Hauptziel des Projekts ist die Bewertung des zusammengesetzten Gefährdungspotenzials von aufeinanderfolgenden "Heiß-Nass- und/oder Trocken“-Gefahren an Hotspot-Standorten, an denen Hitzewellen besonders bedenklich sind. Anhand einiger ausgewählter Standorte entwickeln wir unser wahrscheinlichkeitsbasiertes Modell. In einem nächsten Schritt planen wir, unsere Arbeit auf verschiedene Klimaregionen auszuweiten. Am Ende werden die Ergebnisse in Form von Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die aus dem Projekt gewonnenen Erkenntnisse werden den Interessenvertreter:innen und Stadtverwaltungen helfen, sich auf solche aufeinander folgenden Naturkatastrophen einzustellen und Maßnahmen zur Schadensbegrenzung zu entwickeln.  
 

Wie hat Ihre frühere Arbeit am GFZ Ihre jetzige Arbeit in Indien beeinflusst, sowohl was die Art der Forschung als auch die Themen betrifft, an denen Sie arbeiten? Inwiefern werden Sie weiterhin mit Kolleg:innen des GFZ zusammenarbeiten?

Die Erfahrung als Wissenschaftlerin am GFZ war sehr bereichernd, was die Entwicklung von Fähigkeiten und die Erweiterung des Forschungshorizonts außerhalb der Komfortzone angeht. Durch Erfahrungen am GFZ halfen mir bei der Ausformulierung von Forschungsvorhaben, der Entwicklung neuer Methoden und dem Aufbau von Kooperationen in ganz Europa. Außerdem kann ich durch die Erfahrungen am GFZ, mein Forschungsgebiet diversifizieren; mich mit verschiedenen Formen von Naturgefahren befassen, von Dürren bis hin zu Überschwemmungen und neuerdings auch mit miteinander zusammenhängenden Extremereignissen. In Zukunft möchte ich weiterhin mit dem GFZ zusammenarbeiten, um eine großskalige hydrologische Modellkette für Indien zu entwickeln, die uns derzeit noch fehlt. 
 

Sie sind derzeit als Assistenzprofessorin in Ihrem Heimatland Indien tätig. Sie arbeiten in der Abteilung für Agrar- und Lebensmitteltechnik am IIT Kharagpur. Wie unterscheidet sich die Arbeit bzw. Lehre in Indien von ähnlichen Erfahrungen in Europa?

Ich habe an zwei verschiedenen Indian Institutes of Technology studiert. Zuerst als Masterstudentin am IIT Kharagpur und dann als Doktorandin am IIT Bombay und habe jetzt als Angestellte nach jahrelanger Postdoc-Forschungserfahrung in drei verschiedenen Ländern ─ den USA, Kanada und zuletzt in Deutschland ─ gearbeitet. So kann ich sagen, dass sich das Arbeitsumfeld an den Indian Institutes of Technology nicht sehr von dem in anderen Ländern unterscheidet. Dank der großzügigen Unterstützung durch die Regierung und eines reichen Pools an Absolvent:innen verfügen wir über die meisten der gängigen forschungsrelevanten Rechnerkapazitäten. Gleichzeitig ist es aber für eine/n Wissenschaftler:in ziemlich schwierig, externe Zuschüsse für die Forschung zu erhalten. Anders als in Europa ist die Dauer der geförderten Forschungsprojekte in der Regel kurz und kann maximal drei Jahre oder sogar weniger betragen.
 

Wie wichtig erscheint Ihnen der Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit in Ihrem Projektkontext?

Verknüpfte Klima- und Wettergefahren umfassen mehrere risikorelevante Faktoren. Das bringt also oft starke gesellschaftliche Auswirkungen mit sich. Das jüngste Projekt hat aufeinanderfolgende Gefahren durch Hitzestress und extreme Regenfälle im Fokus. Und wir wollen  gefährdete städtische Siedlungen identifizieren. Aufgrund der globalen Erwärmung ist weltweit ein zunehmender Trend bei Hitzewellen zu beobachten. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, insbesondere in tropischen Regionen, sind dabei besonders gefährdet. Außerdem haben Überschwemmungen durch extreme Regenfälle, gefolgt von einer Hitzewelle, verheerende Folgen. Unsere gewonnenen Erkenntnisse können demnach dazu beitragen, politische Empfehlungen für städtische Siedlungen zu entwickeln. So wird das Risiko solcher Gefahren gemindert. Diese Empfehlungen können die Zusammenarbeit zwischen Forscher:innen und Praktiker:innen im Bereich Risikomanagement verbessern.


Dr. Poulomi Ganguli, wir danken herzlich für das Gespräch!
 

Zur Person:
Dr. Poulami Ganguli promovierte 2013 im Fachbereich Bauingenieurwesen des IIT Bombay in Wasserwirtschaft. Ihr Forschungsinteresse liegt an der Schnittstelle zwischen Hydrologie und Klimaextremen, mit einem besonderen Interesse an der statistischen Modellierung von Extremereignissen. Im Jahr 2017 erhielt sie das renommierte Alexander-von-Humboldt-Forschungsstipendium für Nachwuchswissenschaftler. Mit diesem Stipendium arbeitete sie fast zwei Jahre lang als Wissenschaftlerin in der Sektion Hydrologie des GFZ Potsdam und beschäftigte sich mit der Modellierung von Hochwassergefahren im gesamteuropäischen Raum.


Quellen zu den im Interview genannten Angaben:

 

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