Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Im Magnetsturm überschätzt: Neue Erkenntnisse zum Ringstrom geladener Teilchen um die Erde

Simulationsstudie identifiziert bislang nicht berücksichtigte Teilchenverlustprozesse. Auswirkungen u.a. auf Satelliten-Gefährdung und Erdmagnetfeldstudien.

Zusammenfassung

Geladene Teilchen aus dem Weltraum werden vom Magnetfeld der Erde eingefangen. Sie fließen dann auf einer kreisförmigen Bahn um die Erde und bilden den so genannten Ringstrom. Das Wissen um seine Dynamik ist wichtig, weil er wiederum das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre beeinflusst und gefährliche Bedingungen für Satelliten schaffen kann. Insbesondere das Verhalten während geomagnetischer Stürme, die von verstärkter Sonnenaktivität verursacht werden, ist bislang nicht vollständig verstanden. Hierfür genutzte Modelle haben die Stärke des Ringstroms bisher systematisch überschätzt. Das haben Forschende um Bernhard Haas und Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in einer Studie im Fachmagazin Nature Scientific Reports gezeigt. Sie analysierten die Teilchenbahnen während geomagnetischer Stürme und identifizierten einen bislang nicht berücksichtigen Teilchen-Verlust-Prozess durch Streuung an sogenannten Plasmawellen.

Der Ringstrom und seine Effekte

Der Weltraum ist erfüllt vom interplanetaren Medium, einem Mix aus Protonen, Elektronen und anderen geladenen Teilchen, die u.a. von der Sonne ausgestoßen werden. Ein Teil dieser geladenen Partikel wird vom Magnetfeld der Erde eingefangen. Sie fließen dann als sogenannter Ringstrom auf einer kreisförmigen Bahn in der Äquatorebene im Abstand von einigen Erdradien um die Erde.

Je nach Sonnenaktivität kann sich der Ringstrom dynamisch verändern. Eine möglichst genaue Kenntnis darüber ist wichtig, weil der Ringstrom diverse Auswirkungen auf die Erde und ihre Umgebung hat: Er kann gefährliche Oberflächenladungseffekte auf Satelliten verursachen, was deren Betrieb und Funktionsweise erheblich beeinträchtigen kann. Ringstromelektronen können über Streuprozesse in die Atmosphäre gelangen und dort über die Bildung von Stickoxiden zur Zerstörung von Ozon beitragen. Und nicht zuletzt kann der Ringstrom das Nettomagnetfeld der Erde schwächen. Um das Magnetfeld im Erdinneren möglichst genau studieren zu können, muss man äußere Einflüsse wie den des Ringstroms rechnerisch entkoppeln.

Der Ringstrom kann seit langem im Weltraum und von der Erde aus gemessen werden. Solche Messungen wurden erstmals 1806 von Alexander von Humboldt in Berlin durchgeführt. Er prägte auch den Begriff „Magnetsturm“ für die von verstärkter Sonnenaktivität verursachten Änderungen des Erdmagnetfeldes.

Auswirkungen geomagnetischer Stürme auf den Ringstrom

Obwohl der Ringstrom seit Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht wird – sowohl mit Messungen als auch über Modellierung und Computersimulation –, ist noch immer nicht vollständig verstanden, wie er sich während geomagnetischen Stürmen verändert. Das liegt daran, dass es viele verschiedene Prozesse gibt, die auf unterschiedlichen Zeitskalen zu seinem Verhalten beitragen.

Neue Modellierungsansätze zeigen Teilchenverlust

Eines der Hauptmerkmale eines geomagnetischen Sturms ist ein verstärkter Teilchenfluss im Ringstrom. Allerdings wurde die Anzahl der Elektronen vor allem zu Beginn der Stürme von bisherigen Modellen systematisch überschätzt, insbesondere auf der Nachtseite der Erde. Das haben Wissenschaftler:innen um Bernhard Haas und Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und der Universität Potsdam in einer Studie gezeigt, die im Fachmagazin Nature Scientific Reports erschienen ist. Als Ursache ermittelten sie bislang nicht berücksichtigte Teilchenverlustprozesse.

Ausgangspunkt für die Analysen der Forschenden waren starke Diskrepanzen zwischen Modellvorhersagen und Messungen der inneren Magnetosphäre der Erde während starker geomagnetischer Stürme.

Für genauere Untersuchungen betrachtete das Team des GFZ ein spezielles Magnetsturm-Event, nämlich den sogenannten St.-Patricks-Day-Sturm vom 17. März 2013. Er wurde schon verschiedentlich studiert und zeigt eine klare Unterscheidbarkeit zwischen starker und schwacher geomagnetischer Aktivität.

Ursachensuche für geringeren Teilchenfluss im Ringstrom

Grundsätzlich gibt es im Ringstrom eine permanente Partikelfluktuation: Neue Partikel werden eingefangen, andere wieder ausgestoßen. Dafür spielt auch die Position im Ringstrom eine Rolle, also ob man zum Beispiel die der Sonne zugewandte Tag- oder die ihr abgewandte Nachtseite betrachtet. Denn die Magnetosphäre der Erde ist hier jeweils sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Die Forschenden klärten zunächst, dass die Ursache der festgestellten Überschätzung der Elektronenanzahl nicht in der Modellierung der Quellprozesse lag. Stattdessen fanden sie von bisherigen Modellen unberücksichtigte Verlustprozesse.

Hierfür analysierten sie die Bahnen von Elektronen nach ihrem Eintritt in den Ringstrom. Mithilfe von Simulationsrechnungen fanden sie heraus, dass ein Teil der Elektronen höchstwahrscheinlich durch Wechselwirkung mit sogenannten Plasmawellen wieder aus dem Ringstrom in die Atmosphäre gestreut wird. Als Plasma wird ein Zustand bezeichnet, in dem positiv und negativ geladene Teilchen vorherrschen. Beispielsweise durch Schwankungen in der Teilchendichte entstehen Plasmawellen, die mit schwankenden elektrischen und magnetischen Feldern einhergehen und so wieder auf geladene Teilchen rückwirken können.

Resümee und Ausblick

„Diese Prozesse wurden von bisherigen Modellen des Ringstroms nicht ausreichend genau erfasst. Mit unserem Ansatz konnten wir bislang nicht berücksichtigte Elektronen-Verluste empirisch quantifizieren und zeigen, dass sie extrem stark sein müssen. Wir haben zwei Arten von Plasmawellen identifiziert, die für die Streuprozesse verantwortlich sein könnten. Der physikalische Mechanismus ist aber noch nicht vollständig verstanden und wird Gegenstand künftiger Studien sein. Eine genaue Lokalisierung der Verlustprozesse im Ringstrom ist mit unserer Methode nicht möglich, aber unsere Berechnungen deuten darauf hin, dass die Prozesse in dem Ringsektor stattfinden, der vor Mitternacht liegen muss“, resümiert Bernhard Haas, Erstautor der Studie und Doktorand am GFZ. (Siehe auch Bild und Video im Slider oben.)

Yuri Shprits, am GFZ Leiter der Sektion 2.7 „Weltraumphysik und Weltraumwetter“ und Professor an der Universität Potsdam, ergänzt: „Das ist ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der Dynamik von Teilchen in dieser Region des Weltraums und hilft uns, das Verhalten des Ringstroms während geomagnetischer Stürme besser zu modellieren und vorherzusagen. Das ist wiederum die Voraussetzung, um Satelliten vor den entsprechenden schädlichen Auswirkungen zu schützen, sowie das Magnetfeld der Erde in ihrem Inneren und die Auswirkungen dieser Teilchen auf die Atmosphäre und damit auch auf das Klima besser zu verstehen.“

 

Da sich der Ringstrom sowohl auf die Atmosphäre wie die Gefährdung von Satelliten auswirkt, trägt diese Studie zu Topic 1 „Atmosphäre im Globalen Wandel“ und Topic 3 „Ruhelose Erde – Vorhersage von Geogefahren ermöglichen“ unseres Forschungsprogramms „Changing Earth – Sustaining our Future“ der Programmorientierten Förderung PoF IV von Helmholtz Erde und Umwelt bei.

 

Originalpublikation:

Haas, B., Shprits, Y.Y., Allison, H.J. et al. A missing dusk-side loss process in the terrestrial electron ring current. Sci Rep13, 970 (2023). DOI: 10.1038/s4159-023-28093-2

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