Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Fragen und Antworten zur aktuellen Hochwasserlage in Deutschland

Die GFZ-Hydrologen Bruno Merz und Sergiy Vorogushyn geben Auskunft zu den Ursachen und zu Herausforderungen bei Hochwasserschutz und Risikomanagement.

Seit zwei Wochen ist Deutschland von einem langanhaltenden und sehr großräumigen Hochwasser betroffen, mit kritischen Situationen fast im gesamten Bundesgebiet.  

Bruno Merz, Leiter der Sektion 4.4 „Hydrologie“ und Professor an der Universität Potsdam, und Sergiy Vorogushyn, Leitender Wissenschaftler in Sektion 4.4, geben Antworten auf wichtige Fragen zu den Ursachen und zu den Herausforderungen und dem aktuellen Stand bei Hochwasserschutz und Risikomanagement.
 

Wie kam es zu dieser extremen Hochwasserlage und was ist daran außergewöhnlich?

Ausgelöst wurde die Hochwassersituation durch eine Reihe von Tiefdruckgebieten, die nacheinander feuchte Luft aus dem Atlantik nach Nordwesteuropa brachten. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gehört der Dezember 2023 zu den 10 nassesten Monaten seit 1881. In Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt gab es im Dezember doppelt so viel Niederschlag wie im langjährigen Mittel. Die Böden haben sich somit im Laufe des Dezembers aufgesättigt, so dass jeder zusätzliche Regen direkt abfließt und zur Hochwassersituation beiträgt. Das ist insofern ein typisches Winterhochwasser. Bemerkenswert ist allerdings die großräumige Ausdehnung. Das und die lange Dauer bringen eine enorme logistische Herausforderung mit sich. Unsere Forschung zeigt, dass wir in den letzten Jahrzehnten einen starken positiven Trend in der räumlichen Ausdehnung von Hochwasser haben, d.h. Hochwasser neigen dazu, größere Regionen gleichzeitig zu belasten (Kemter et al., 2020).

Kemter, M., Merz, B., Marwan, N., Vorogushyn, S., & Blöschl, G. (2020). Joint Trends in Flood Magnitudes and Spatial Extents Across Europe. Geophysical Research Letters, 47(7), e2020GL087464. doi:10.1029/2020gl087464

Wie vergleicht sich das mit der Ahrtal-Katastrophe?

Das aktuelle Hochwasser ist ein typisches Winterhochwasser und zeigt einige Unterschiede zum Ahrhochwasser im Juli 2021. Winterhochwasser bauen sich langsamer auf, dauern länger an und werden typischerweise durch gesättigte Böden, sowie ergiebige, aber nicht unbedingt extreme Niederschläge ausgelöst. Häufig spielt auch Schneeschmelze eine Rolle. Sommerhochwasser werden dagegen durch extreme Regenmengen in kurzer Zeit ausgelöst. Sie sind auch räumlich stärker begrenzt und laufen schneller ab. Im Sommer 2021 war gerade die sehr schnelle Reaktion von Bächen und kleineren Flüssen ein großes Problem. Die Wasserstände sind innerhalb von wenigen Stunden extrem angestiegen.

Kommt es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten häufiger zu solchen extremen Ereignissen?

Ja, in einer großen Studie (Blöschl et al., 2019) haben wir gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen die Veränderungen der Hochwasserscheitel in Europa während der letzten 50 Jahre untersucht. Für Nordwesteuropa und Zentraleuropa finden wir überwiegend ansteigende Trends, d.h. die Hochwasserscheitel sind im Laufe der letzten Jahrzehnte signifikant größer geworden und dies ist durch Veränderung des Klimas bedingt.

Blöschl, G., Hall, J., Viglione, A., Perdigão, R. A., Parajka, J., Merz, B., ... & Živković, N. (2019). Changing climate both increases and decreases European river floods. Nature, 573(7772), 108-111. DOI: 10.1038/s41586-019-1495-6

Welche Rolle spielt der Klimawandel dabei? Und was lässt das für die Zukunft erwarten? Müssen wir künftig häufiger mit solchen oder gar noch schlimmeren Ereignissen rechnen?

Die Trends der Hochwasserscheitel lassen sich durch Veränderungen von klimatischen Variablen erklären. Für weite Teile Deutschlands verlaufen die Hochwassertrends nämlich parallel zu den Trends in den mehrtägigen Starkniederschlägen. So sind beispielsweise die Starkniederschläge über 7 Tage im Winter überall in Deutschland angestiegen, teilweise bis zu 40 Prozent (Murawski et al., 2015).

Murawski, A., Zimmer, J., & Merz, B. (2015). High spatial and temporal organization of changes in precipitation over Germany for 1951-2006. International Journal of Climatology. doi:10.1002/joc.4514

Zukünftig müssen wir häufiger mit solchen bzw. auch schlimmeren Ereignissen rechnen. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen, so dass mehr Wasser zum Abregnen in der Atmosphäre zur Verfügung steht. Mildere Winter bedeuten auch eine höhere Schneefallgrenze. Ein größerer Anteil des Winterniederschlags fällt als Regen und nicht als Schnee. Dieser Niederschlag wird dann nicht in der Landschaft gespeichert, sondern fließt direkt ab. Dazu kommen noch Veränderungen der atmosphärischen Strömungsmuster. Es wird beispielsweise intensiv daran geforscht, inwieweit der Klimawandel zu längeren Dauern von Extremwetterlagen führt.

Was sind die größten Herausforderungen beim Hochwasserschutz und Risikomanagement? Gerade für solche flächigen Lagen wie jetzt? Wie kann man sich gut darauf vorbereiten?

Die aktuelle Lage ist eine logistische Herausforderung für den Katastrophenschutz. Um solche Situationen gut bewältigen zu können, brauchen die Einsatzkräfte und die Betroffenen schnelle und zuverlässige Informationen, was wann voraussichtlich überflutet sein wird. Deutschland hat zwar ein gut aufgestelltes System der Hochwasservorhersage. Diese Vorhersagen werden allerdings für Vorhersagepegel erstellt, und es ist für Betroffene nicht einfach, diese Information zu interpretieren und Handlungen abzuleiten. Soll eine Siedlung evakuiert werden oder nicht, wenn 10 Kilometer stromaufwärts ein kritischer Wasserstand vorhergesagt wird?

Hier setzt das aktuelle Forschungsfeld der Impakt-Vorhersagen an, die sowohl bei solchen Hochwasserkatastrophen wie im Ahrtal als auch bei großräumigen Hochwasserlagen helfen sollen. Hier werden Modelle entwickelt, die Pegel-Vorhersagen in die Fläche übertragen. Es wird also vorhergesagt, welche Flächen wann und mit welcher Wassertiefe voraussichtlich überflutet werden und welche Siedlungen und kritische Infrastrukturen dann betroffen sind (Apel et al., 2022).

Wir können beispielsweise mit unseren Modellen schnell simulieren, was passieren würde, wenn an einer Stelle ein Deich bricht und welche Gebäude, Straßen oder Krankenhäuserwie betroffen sein können. Das kann man aus den vorliegenden Hochwassergefahrenkarten nur bedingt ableiten, weil jedes Hochwasser einen besonderen Ablauf hat. Mit solchen Modellen können die Hochwasserzentralen dann spezielle Situationen schnell simulieren, wie eben potentielle Deichbrüche, und damit auch die Evakuierungseinsätze und die Logistik besser unterstützen.

Apel, H., Vorogushyn, S., & Merz, B. (2022). Brief communication: Impact forecasting could substantially improve the emergency management of deadly floods: case study July 2021 floods in Germany. Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 22(9), 3005-3014. doi:10.5194/nhess-22-3005-2022

Ist das alles noch Forschung oder werden solche Systeme zur Ad-hoc-Simulation bald in der Praxis verfügbar sein?

Es gibt erste Prototypen, die in der Praxis erprobt werden. Eine Herausforderung der Impakt-Vorhersage ist die größere Unsicherheit im Vergleich zu den Wasserstandsvorhersagen an Pegeln. Hier wird gemeinsam mit der Praxis untersucht, wie groß diese Unsicherheiten sind und wie diese kommuniziert werden müssen.

Wie gut sind Hochwasserschutz und Risikomanagement in Deutschland generell auf solche Ereignisse vorbereitet? Sind die Deiche ausreichend hoch und stark?

In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde viel in technischen Hochwasserschutz investiert; Deiche wurden ertüchtigt und neue Rückhalteräume geschaffen. Nach dem Juni-Hochwasser 2013 wurde das Nationale Hochwasserschutzprogramm beschlossen und befindet sich in der Umsetzung. Diese Investitionen haben jetzt einen positiven Effekt. Aber technischer Hochwasserschutz kann nicht gegen jedes Ereignis schützen. Deiche werden für ein bestimmtes Schutzziel gebaut; sie sollen z.B. gegen das 100-jährliche Hochwasser schützen – das ist ein Hochwasser, das im Schnitt alle 100 Jahre bzw. mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100 in jedem Jahr eintreten kann. Wenn ein deutlich größeres Hochwasser auftritt, wird er überströmt und bricht sehr wahrscheinlich. Wir müssen uns, auch durch den Klimawandel bedingt, vorab mit Situationen beschäftigen, bei denen technische Schutzsysteme überlastet sind.   

Was haben wir da zum Beispiel aus der Ahrtalkatastrophe gelernt?

Eine Erkenntnis betrifft die wichtige Rolle der kritischen Infrastruktur. Im Juli 2021 sind wichtige Infrastrukturen, wie Stromversorgung, mobile Kommunikation oder Wasserversorgung ausgefallen. Wir müssen solche Situationen vorab durchdenken, in denen unsere technischen Schutzsysteme überlastet sind. Wäre dann die Stromversorgung gefährdet? Wenn ja, welche anderen Konsequenzen würde ein Stromausfall nach sich ziehen. Wo sind die entscheidenden Schwachstellen und wie können wir diese entschärfen?

In dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt KAHR (Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz), an dem das GFZ beteiligt ist, wird der Wiederaufbau in den von der Hochwasserkatastrophe 2021 betroffenen Regionen wissenschaftlich begleitet. Damit sollen ein Beitrag zum Hochwasserrisikomanagement geleistet und die Entwicklung von resilienten und klimaangepassten Lösungen ermöglicht werden.

https://www.hochwasser-kahr.de/index.php/de/

Was muss noch besser werden bei Schutz- und Vorsorgemaßnahmen, wenn es in Zukunft häufiger zu solchen Hochwasserereignissen kommt, insbesondere auch zu länger anhaltenden, flächigen Ereignissen wie jetzt? Wo gibt es noch Stellschrauben für die Kommunen, die Länder, den Bund?

Sollten in Zukunft großräumige Hochwassersituationen wie in diesem Jahr häufiger auftreten, sind Tausende Einsatzkräfte häufiger im Dauereinsatz. Es muss viel Technik und Material gefahren und eingesetzt werden – Sandsäcke, mobile Deiche etc. Das ist vor allem eine logistische Herausforderung. Das Risikomanagement müsste dann vor allem die logistische Infrastruktur stärken, Vorräte an Technik und Material vergrößern und in die Fläche bringen sowie auf mehr gut ausgebildete Einsatzkräfte zurückgreifen können.

Allgemein ist es wichtig, das Hochwasserbewusstsein und das Wissen über Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Wir sehen, dass in den Monaten und auch noch einige Jahre nach schweren Hochwasserereignissen das Risikobewusstsein in den betroffenen Regionen hoch ist. Dieses schwindet aber, wenn es längere Zeit keine Hochwasser in einer Region gibt. Man spricht dann von „Hochwasserdemenz“. Es bleibt also eine Herausforderung, das Risikobewusstsein auch in hochwasserarmen Zeiten aufrechtzuerhalten, denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt.

Darüber hinaus zeigen unsere Forschungen, dass Betroffene nur dann gut reagieren, wenn sie auch wissen, was im Falle eines Hochwassers zu tun ist. Seit 20 Jahren befragen wir nach großen Hochwassern Menschen, deren Haus oder Gewerbebetrieb überflutet wurde: Diejenigen, die sich vorab mit dem Risiko und möglichen Schutzmaßnahmen beschäftigt haben, können Schäden deutlich reduzieren; während andere, die nur die Vorhersage bekommen, aber sich nicht vorbereitet haben, es nicht schaffen (Kreibich et al., 2021).

Kreibich, H., Hudson, P., & Merz, B. (2021). Knowing What to Do Substantially Improves the Effectiveness of Flood Early Warning. Bulletin of the American Meteorological Society, 102(7), E1450-E1463. doi:10.1175/bams-d-20-0262.1
 

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