Bestimmung des Erdschwerefelds
Karten des globalen Schwerefelds an der Erdoberfläche werden aus Berechnung der Störungen der Satellitenumlaufbahnen abgeleitet. Aufgrund der nicht vollständigen Datenabdeckung und nicht-optimierter Orbit-Konfiguration wurden zur Erstellung aktueller Schwerefeldmodelle früher die Umlaufbahndaten von drei Dutzend Satelliten zusammengefasst. Aufgrund der Signalabschwächung auf Orbithöhe spiegelten diese Modelle nur die grobe Struktur des globalen Schwerefelds wider. Die Feinheiten des Schwerefelds der Erde werden nur sichtbar, wenn Bodenmessungen der Erdbeschleunigung und Höhenmessungen über den Ozeanen mit in die Modelle eingehen. CHAMP ermöglichte bei der Erfassung von makro- bis mesoskaligen Strukturen innerhalb des Erdschwerefelds gegenüber den bisherigen Modellen eine Verbesserung der Genauigkeit um zwei Größenordnungen. Die Verbesserung geht zurück auf das spezielle Orbitdesign, die niedrige polnahe Umlaufbahn und das sog. "Satellite-to-Satellite"-Tracking (gegenseitige Distanzmessungen der Satelliten), das die Berechnung der Störungen der Satellitenumlaufbahnen an Bord ergänzten. Dieser gewaltige Durchbruch eröffnete neue Blickwinkel und Anwendungsmöglichkeiten in der Geodäsie, Festkörperphysik und Ozeanographie.
Das Geoid ist eine in der Geodäsie relevante Potentialfläche, welche das Erdschwerefeld auf Meeresniveau widerspiegelt. Das Geoid kann in cm-Auflösung bestimmt werden, wenn Daten mit räumlicher Auflösung von ca. 650 km (halbe Wellenlänge) vorliegen. Das Geoid stellt Unregelmäßigkeiten des Schwerefelds an der Erdoberfläche dar, die durch die ungleiche Verteilung von Masse und Dichte im Innern der Erde entstehen. Das mithilfe von CHAMP-Daten erstellte Geoid diente als eine gute Referenz für globale oder regionale Schwerefeldmodelle mit höherer Auflösung.
Das gute Signal-zu-Rausch-Verhältnis und die hohe spektrale Auflösung der CHAMP-Daten ermöglichen die Berechnung der zeitlichen Änderung des Schwerefelds, die durch die Umverteilung von Masse hervorgerufen wird. Diese ist im Allgemeinen gering und läuft langsam und im großem räumlichen Maßstab ab. Da CHAMP Schwerefelddaten über einen Zeitraum von über einer Dekade geliefert hat, ist auch die Differenzierung verschiedener geophysikalischer Prozesse möglich. Änderungen des Schwerefelds können hervorgerufen werden durch Masseumverteilung in der Atmosphäre, Meeresströmungen, Meeresspiegelschwankungen, das Schmelzen oder Gefrieren von Polareis oder durch isostatischen Ausgleich der Lithosphäre. Der Informationsgewinn durch die Beobachtung von zeitlichen Änderungen des Schwerefelds liegt darin, dass der Nettomasseunterschied von Wasser-Volumen gemessen wird und nicht dessen Pegelstand oder die Tiefe, bei der wiederum Masse- und Dichteeffekte (aufgrund von Temperaturunterschieden) eingehen würden. Die verschiedenen Monitoring-Techniken ermöglichen nun die Unterscheidung der Meeresspiegelschwankungen, die durch Temperaturänderungen hervorgerufen werden von solchen durch das Gefrieren und Abtauen von Eis.
Die beobachteten Anomalien im Schwerefeld stellen wichtige Randbedingungen für seismische Erdmodelle dar. Modelle der seismischen Tomographie des Erdinnern haben aktuell eine Auflösung, die der Wellenlänge von 2000 km entspricht. Um diese zu verifizieren und um zwischen den verschiedenen seismischen Modellen unterscheiden zu können, sollten die langwelligen Anteile des Schwerefelds mit einer Genauigkeit von einem Prozent der Signalstärke bekannt sein, was eine Größenordnung genauer ist, als es zum Zeitpunkt vor Beginn der CHAMP-Mission möglich war. Eine verbesserte Genauigkeit erhöht auch die Aussagekraft von Untersuchungsergebnissen der Struktur und des statischen/dynamischen Massenausgleichs an der Kern-Mantel-Grenze, sowie der Analysen der Manteldiskontinuitäten. Auch die Umrechnung von seismischen Geschwindigkeiten in Dichtewerte, die zur Modellierung seitlicher Dichteänderungen im Erdinneren nötig ist, wird präziser. All diese Daten tragen zur Beantwortung der Frage bei, ob die Mantelkonvektion in einem einfachen, doppelten oder komplexen System abläuft. Dies wiederum hat einen hohen Einfluss auf die Kräftemodellierung der Plattentektonik und das Recycling der ozeanischen Kruste im Subduktionsprozess. Neben der seismischen Geschwindigkeit und dem Schwerefeld ist das Magnetfeld außerhalb der Erde, das seinen Ursprung im Erdinneren hat, eine direkte Messgröße. Die Auswertung der drei Messgrößen erlaubt eine vollständige und integrierte Modellierung der Struktur und Dynamik des Erdkerns und des Erdmantels, die die langwelligen gravitativen und magnetischen Signale hervorrufen. Die höchsten Anforderungen hinsichtlich Genauigkeit und Auflösung des modellierten Erdschwerefelds kommen aus der Ozeanographie. Sowohl mittels Höhenmessung, als auch anhand des Geoids kann die Ozeanoberfläche zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits mit cm-Genauigkeit bestimmt werden. Um die dynamische Meerestopographie, d.h. die geometrische Differenz zwischen Meeresoberfläche und Geoid, zu errechnen, muss die mittlere absolute Meereszirkulation und das hydrostatische Druckfeld bekannt sein. Die absolute Meereszirkulation beinhaltet die Strömungen bis in große Tiefen. Die Kenntnis dieser Zirkulation einschließlich des Wärme- und CO2-transports sind wichtige Voraussetzungen für globale Klimamodelle und die Interpretation langfristiger Meeresspiegelschwankungen. Mit CHAMP konnte die Auflösung der quasistationären Meereszirkulation von vorher 4000 km auf 1000 km (volle Wellenlänge) erhöht werden.
Im ersten Schritt wurde die Machbarkeit von GPS-Höhenmessungen durch die Nadir-orientierte GPS-Antenne an Bord von CHAMP getestet. Tests in der Luft haben gezeigt, dass GPS-Signale nach Reflexion über einer ruhigen Wasserfläche empfangen werden können. Untersuchungen durch CHAMP und Flugzeugtests sollten die Anwendbarkeit dieses Verfahrens über Wasserflächen unter beliebigen Bedingungen, sowie über Eis und Schnee weiter testen. Die Beobachtung der Meereshöhe und der Geländehöhe des polaren Eises durch GPS-Höhenmessung bietet eine gute Möglichkeit, zusätzliche Daten zu erheben, um diese mit den Daten über Schwerefeldänderungen zu kombinieren. Die Abbildung unten zeigt die Abdeckung durch GPS-Höhenmessung (Reflexionspunkte) mit CHAMP während eines Zeitraums von zwei Wochen. Ausgehend von der Konstellation der GPS-Satelliten und den Bahneigenschaften von CHAMP ist die Auswertung von Reflektionen bis in Breiten von 79° Nord und Süd möglich, was durch Simulationsstudien bestätigt werden konnte.
Das Geoid entspricht etwa der Fläche, die unter dem Begriff "Meeresspiegel" in der Landesvermessung bekannt ist. Topographische Geländehöhen beziehen sich auf das Geoid und bezeichnen die Höhe über dem Niveau des Meeresspiegels. Moderne satellitengestützte Navigationssysteme, wie das US-amerikanische GPS-System, messen Punkthöhen, die sich auf ein Referenz-Ellipsoid beziehen. Bei der Umwandlung von Ellipsoid-Höhen in die topographische Höhe muss die Geoid-Undulation abgezogen werden. Um bei der hohen Messgenauigkeit von GPS mitzuhalten (zentimetergenau), muss das Geoid mit derselben Genauigkeit bekannt sein. Somit könnte die GPS-gestützte Vermessung die arbeitsintensiven Methoden der herkömmlichen Landesvermessung ersetzen.
Die Strukturen des Geoids können aus CHAMP-Daten mit noch nie dagewesener Genauigkeit bestimmt werden. Dieses Geoid stellt die Basis für die weitere Verfeinerung im regionalen und lokalen Maßstab dar und bildet eine Grundlage zur Einschätzung bestehender oder vorgesehener hochaufgelöster Schweredaten zur Geoid-Berechnung. Das langwellige Geoid liefert die Referenz für ein einheitliches globales Höhensystem, das für Zwecke der Fernerkundung und der Kartographie wichtig ist, beispielsweise zur Anwendung moderner Methoden der satellitengestützten Vermessung und bei der Erstellung digitaler Geländemodelle von ausgedehnten Land- und Eisgebieten.
Jegliche Fortschritte hinsichtlich der Genauigkeit und Vollständigkeit der Schwerefeldmodelle werden direkt zur Verbesserung der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Umlaufbahnbestimmung beitragen, die in der Satellitenaltimetrie und in der SAR-Inferometrie gefordert sind.
Bezogen auf das Erdschwerefelds hat CHAMP die Internationale Dekade der Geopotentiale eröffnet. Mit den nachfolgenden Missionen GRACE (Launch: 2002) und GOCE (Launch: 2009) soll der Weg hin zur hochgenauen Modellierung des Schwerefelds und damit zur Erforschung des Systems Erde fortgeführt werden.