Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Wissenschaftliches Bohren – Teleskop ins Erdinnere

Das Erdinnere ist für uns Menschen weitgehend unzugänglich, sieht man von Tunneln und Bergwerken ab. Mit Bohrungen schafft sich der Mensch einen direkten Zugang zum geologischen Untergrund. Das Ziel des Wissenschaftlichen Bohrens ist es, ein umfassendes Verständnis über die Prozesse im Untergrund zu bekommen. Das Bohren liefert als einziges Verfahren sowohl Daten als auch Proben aus der Tiefe. Die Methode findet in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen Anwendung. 

Mit einer Bohrung wird ein Loch von einigen Zentimetern Durchmesser Hunderte Meter oder sogar einige Kilometer tief in die Gesteine der Erdkruste getrieben. Damit schafft man einen Zugang in die Tiefe und kann Bohrkerne gewinnen und untersuchen. Welche Gesteine, Flüssigkeiten und Mikroben kommen vor und wie agieren sie miteinander unter echten Druck- und Temperaturbedingungen untertage? Welchen Kräften unterliegt der Untergrund durch Bewegungen von Kontinentalplatten, den Aufstieg von Magmen, die Abtragung von Gesteinen und Gletschern an der Oberfläche, das Einsickern von Wasser? All diese Fragen können oft nur unzureichend im Labor nachgestellt oder am Computer modelliert werden. Bohrungen sind daher in vielen Fällen für ein besseres Verständnis der Vorgänge in der Tiefe notwendig.

Wissenschaftliches Bohren als Methode zur Erkundung des Untergrunds

  • Erkundung der grundlegenden Prozesse für die nachhaltige Gewinnung von Georessourcen wie zum Beispiel Erdwärme, aber auch von Erzen, oder das sichere Speichern von Kohlendioxid im Untergrund;
  • Erforschung von Naturgefahren wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Hangrutschungen, um grundlegende physikalische und chemische Prozesse zu verstehen und Gefahren frühzeitig erkennen zu können und davor zu warnen;
  • Gewinnung von Erkenntnissen darüber, wie die vielfältigen Umwelt- und Klimaveränderungen in der Erdgeschichte ausgelöst oder wieder umgekehrt wurden und welche Treiber es in diesem komplexen System von Luft, Wasser, Kontinenten und Lebewesen gibt, um Vorhersagen für die Zukunft treffen zu können;
  • Erforschung der dynamischen Kräfte und Vorgänge im Erdinneren, die die Grundlagen für alle interne Vorgänge der Gebirgsbildung, Erdbeben, Vulkanismus und damit entscheidend für den Lebensraum und die Ressourcen des Menschen sind.

Forschungsfragen

  • Geodynamik – Wie entwickelten sich die Erdkruste, der Erdmantel und die Plattentektonik in den 4,5 Milliarden Jahren der Erdgeschichte? Wie entstand Leben und welchen Einfluss hat es auf das System Erde, das Wasser, die Atmosphäre?
  • Georessourcen – Wie können Energie, insbesondere Geothermie, und Rohstoffe nachhaltig und umweltfreundlich gewonnen werden?  Wie lässt sich Energie zum Beispiel in Form von Wasserstoff im Untergrund speichern?
  • Georisiken – Welche Kräfte verursachen Erdbeben oder Vulkanausbrüche und wie kann man verlässlich und möglichst frühzeitig vor Gefahren warnen, um Risiken zu minimieren?
  • Frühere Umwelt- und Klimaänderungen – Welche Faktoren haben drastische Änderungen in der langen geologischen Vergangenheit angetrieben und welche Rolle spielt dabei die tiefe Biosphäre?

 

Wie wird gebohrt?

Um Tiefbohrungen abzuteufen, wird in einem speziellen Kran ein innen hohles Bohrgestänge mit einem Bohrmeißel verschraubt und in den Boden gesenkt. Eine Bohrspülung wird durch das Gestänge gepumpt und dreht mittels einer Bohrturbine den Meißel. Die Spülung kühlt den Meißel und trägt das so genannte Bohrklein außerhalb des Gestänges im Bohrloch nach oben. Mit diesem Verfahren kann man mehrere Kilometer tief in Gestein hineinbohren. Je nach Stabilität der Bohrlochwandung und Auftreten von Grund- und Tiefenwässern im Gestein wird ein Bohrloch abschnittsweise verrohrt und die „Rohrtour“ einzementiert, sodass ein nach unten abschnittsweise dünneres Bohrloch entsteht.  

Zur Gewinnung von intakten Proben werden Kernbohrverfahren genutzt, bei denen man statt eines Bohrmeißels eine innen hohle Bohrkrone benutzt. Diese lässt eine Säule Gestein in das Bohrgestänge beim Bohren hineinwachsen. Der Bohrkern kann jeweils nach einigen Metern Bohren zu Tage gefördert werden. Das kann durch den Ausbau des gesamten Bohrstrangs oder mit einem Seil durch Ziehen eines speziellen Innenkernrohrs erfolgen.

Bohrlochmessungen und Instrumente

Nach jedem Bohrabschnitt werden die durchbohrten Gesteine mit geophysikalischen Sonden vermessen. Sie werden an speziellen Kabeln ins Bohrloch abgesenkt und tasten es mit Sensoren ab, die ein durchgängiges Profil der physikalischen, chemischen und mechanischen Eigenschaften registrieren. Zur Langzeitbeobachtung können Instrumente langfristig in Bohrlöchern verankert werden, um zum Beispiel Deformationen und damit Erdbebengefahren zu überwachen. Unterirdische Messungen sind viel sensitiver als an der Oberfläche mit den vielen natürlichen oder menschgemachten Störsignalen. Mit Glasfaserkabeln lassen sich heutzutage sogar über das gesamte Bohrloch Temperatur- oder Spannungsmessungen durchführen, die essentiell für die Erdbebenforschung oder die geothermische Nutzung sind.

Wie tief wird gebohrt?

Wissenschaftliche Bohrungen können je nach Fragestellung wenige Zehner, Hunderte oder auch Tausende Meter tief sein. Für die Umwelt- und Klimaforschung reichen oftmals bis zu 500 m tiefe Kernbohrungen, wenn die Bohransatzpunkte mit geophysikalischen Tiefenerkundung an den Stellen ausgewählt werden können, wo entscheidende Proben in geringer Tiefe liegen. Im Songliao-Sedimentbecken im Nordosten Chinas wurde allerdings 7000 m tief gebohrt, um die frühen kreidezeitlichen Ablagerungen zu erreichen. Im KTB-Projekt in Windischeschenbach in Bayern konnte Anfang der 1990er Jahren 9100 m tief gebohrt werden, um dorthin zu gelangen, wo Temperaturen von über 260° Celsius die Gesteinseigenschaften verändern. Zu dieser Zeit war damit die technisch bedingte Grenze des Tiefbohrens erreicht.

Das Internationale Kontinentale Wissenschaftliche Bohrprogramm

Das Internationale Kontinentale Wissenschaftliche Bohrprogramm ICDP (International Continental Scientific Drilling Program) fördert internationale Forschungsteams finanziell und mit technisch-wissenschaftlicher Unterstützung wie Geräten und Know How. Bei der Durchführung von Bohrungen mit ICDP-Hilfe sind bahnbrechende neue Erkenntnisse gewonnen worden. Erstmals konnte eine Bohrung die San Andreas-Verwerfung durchstoßen und beproben (um Deformationen und Erdbeben zu erforschen), eine Magmakammer wurde auf Island sicher angebohrt (um neue Energiequellen zu erschließen), die Nordanatolische Störung wurde mit Bohrungen rund um das Marmarameer instrumentiert (um bessere Prognosen zukünftiger Erdbeben zu ermöglichen), der Chicxulub-Krater in Mexiko wurde erbohrt (um den Meteoriteneinschlag zu erforschen, der zum Aussterben der Saurier führte), Seesedimente in allen Klimazonen (Baikal, Titicaca, Malawi, Bosumtwi, Potrok Aike, Elgygytgyn, Totes Meer, Ohrid, Towuti) wurden erbohrt (um die letzten Millionen Jahre der Klimaveränderungen auf der Erde zu verstehen). Insgesamt wurden von ICDP in 27 Jahren 64 Bohrprojekte gefördert.

Trainingskurse für den Nachwuchs

Nicht allein die Forschungsaspekte des ICDP sind bedeutend, sondern auch die Möglichkeit für Studierende, sich an Bohrungen über Technik und Wissenschaft zu informieren und fortzubilden. Dafür veranstaltet ICDP regelmäßig Weiterbildungskurse. Außerdem bieten viele ICDP-Bohrungen umfangreiche Möglichkeiten für Besuche und Informationen.

zum ICDP-Programm

 


Fragen und Antworten

Wissenschaftliches Bohren ist eine wichtige Methode der Geowissenschaften. Sie dient dazu, Daten und Proben aus dem geologischen Untergrund zu gewinnen, um wissenschaftliche Fragestellungen zu untersuchen.

Wissenschaftliche Bohrungen sind notwendig, um Prozesse wie die Entstehung von Erdbeben oder die nachhaltige Nutzung von Ressourcen unter natürlichen Verhältnissen zu beobachten und zu vermessen. Bohrungen dienen auch zur Gewinnung von Gesteinsproben, an denen sich frühere Umwelt- und Klimaverhältnisse rekonstruieren lassen.

Die bisher tiefste Bohrung reicht 12.266 m in die Tiefe und wurde auf der Kola-Halbinsel nahe Zapolyarni im Nordwesten Russlands vorgenommen. Sie wurde von 1970 bis 1989 als wissenschaftliche Bohrung abgeteuft (Teufe = Tiefe in Bergmannsprache), um den Aufbau des Erdinnern und zum Beispiel Erzvorkommen bis in große Tiefen zu erforschen. Heute gibt es zwar einige „längere“ Bohrungen zur Förderung von Erdgas unter dem Meer von Land aus, aber diese kommerziellen Bohrungen sind in 1000 oder 2000 m Tiefe waagrecht abgelenkt, und damit liegt ihre tatsächliche vertikale Tiefe nur bei etwa 2000 bis 3000 m.

Durch 150 Jahre Erfahrung in der Bohrtechnik sind Bohrungen an Land heutzutage sehr sicher. In Deutschland und Europa genehmigen und überwachen Bergämter tiefe Bohrungen sehr detailliert, sodass Umweltgefährdungen weitestgehend ausgeschlossen werden können. Forschungsbohrungen werden außerdem nur dort unternommen, wo durch sehr umfangreiche Voruntersuchungen Risiken wie unter Druck stehendes Gas ausgeschlossen sind.

Grundsätzlich soll ein sogenannter Fluidaustausch verhindert werden. Darunter versteht man eine mögliche Vermischung von Salz- und Grundwasser oder den Aufstieg und Austritt von Erdgas oder Erdöl. Um das zu verhindern, werden abschnittsweise Kunststoff- oder Metallrohre in die Bohrlochwandung einzementiert und am Kopf der Bohrung ein System von Abdichthähnen angebracht und die Bohrung damit abgedichtet. Die in der Bohrung zirkulierende Spülung wird auf Anzeichen von Druckanstieg oder Gasaufstieg überwacht. Falls nötig, wird die Dichte der Bohrspülung mit Beschwerungsmitteln so eingestellt, dass ein Ausbruch verhindert wird. Bohrungen müssen nach der Nutzung von unten nach oben mit Zement so verschlossen werden, dass eine Abdichtung dauerhaft gewährleistet ist.

Auch bei der Nutzung von Bohrungen müssen Risiken minimiert werden. Bei der Erdöl- oder Heißwasserförderung oder auch beim Einpressen von Wasser oder Gas ändern sich die unterirdischen Druckverhältnisse in den Rissen und im Porenraum des umgebenden Gesteins. Das kann zur Rissaufweitung oder sogar zum Bruch im Gestein führen, was sich als Mikroseismizität oder Erdbeben zeigt. Glücklicherweise kann man heute mit besonders sensitiven Seismometern bereits kleinste Vorläufer der Magnitude -2, Mikrobeben genannt, detektieren und die Injektion drosseln oder stoppen, bevor sich größere Beben ereignen. Langsamer Druckausgleich führt dann zum Abbau der Spannungen ohne an der Oberfläche spürbare Beben. 

Solche „Adaptive Stimulation“ genannten Testverfahren werden zum Beispiel in Forschungsbohrungen durchgeführt, um die Schaffung künstlicher Wärmetauscher zur geothermischen Nutzung zu erforschen. Gesteine in größerer Tiefe sind heißer (die Temperatur steigt um 30° pro Kilometer Tiefe), aber auch dichter. Man kann also nicht einfach Kaltwasser in einer Bohrung injizieren und in einer benachbarten Bohrung Heißwasser fördern, ohne eine künstliche, hohe Durchlässigkeit erzeugt zu haben. Dazu führt das GFZ zum Beispiel in seinem KTB Tiefenlabor das Experiment GEOREAL durch. In Geothermie-Projekten spricht man von hydraulischer Stimulation. Hierbei wird Wasser – manchmal mit Zusätzen (z. T. Sand, z. T. chemische Verdickungsmittel) – mit hohem Druck in Bohrlöcher gepresst, um im Untergrund Klüfte für besseren Durchfluss und Wärmeaustausch zu schaffen. Zumeist wird in der Geothermie auf künstliche Zusätze bei der Injektion verzichtet.

Forschungsbohrungen werden nur gelegentlich für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen abgeteuft. Zur Erkundung und Nutzung von geothermischer Energie wird allerdings seit einigen Jahren verstärkt im Süden Deutschlands, zum Beispiel im Münchener Raum und im Oberrheintalgraben, gebohrt. Dort ist das Potential, hohe Temperaturen von über 100°C bereits in 3000 bis 5000 m Tiefe zu treffen, hoch. Die Gesteine weisen eine gute Durchlässigkeit auf, d.h., diese Reservoire dienen als gute, natürliche Wärmetauscher. Auch im Norden und Osten Deutschlands sind durchlässige Gesteine oftmals zwischen 1000 und 2000 m Tiefe vorhanden, aus denen sich 40 bis 70 °C warmes Wasser fördern lässt, um zum Beispiel moderne Niedrigtemperatur-Heizungsanlagen zu versorgen. Ganz in der Nähe des GFZ hat die Firma EWP in Potsdam im Winter 2022/2023 eine über 2000 m tiefe Bohrung an der Heinrich-Mann-Allee in Potsdam zur geothermischen Nutzung niedergebracht.

Vorhandene Bohrungen werden auch langfristig zu Experimenten benötigt. Das GFZ nutzt die 4 und 9,1 km tiefen Bohrungen des Kontinentalen Tiefbohrprogramms Deutschlands als Tiefenlabor, um die Möglichkeit zu testen, künstliche Wärmetauscher durch Wassereinspeisung in 4 km Tiefe zu erstellen. Ähnliche Projekte gibt es auch im Norddeutschen Becken in Brandenburg bei GrossSchönebeck, wo Erdwärmenutzung erforscht wird.

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