Auf dem Telegrafenberg in Potsdam hat die terrestrische Gravimetrie eine lange Tradition. Hier wurde vor mehr als 100 Jahren am früheren Geodätischen Institut Potsdam begonnen, die Schwerkraft der Erde mit Pendeln und Gravimetern genau zu vermessen. Heute werden am GFZ in der Sektion 1.2 zwei moderne gravimetrische Messverfahren angewendet: Supraleit- und Fluggravimetrie.
Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz ist die Erdanziehungskraft proportional zur Masse der dem Schwerefeld der Erde ausgesetzten Körper, d.h. alle Körper erfahren dieselbe Fallbeschleunigung. Deshalb wird in Geodäsie und Geophysik üblicherweise die Fallbeschleunigung zur Beschreibung des Erdschwerefeldes verwendet.
Terrestrische Schweremessungen bestehen aus der Bestimmung der Vertikalkomponente der Fallbeschleunigung g an der Erdoberfläche. Ziel dieser Messungen ist die Bestimmung räumlicher und zeitlicher Schwerevariationen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Fallbeschleunigung an der Erdoberfläche eine Überlagerung der gravitativen Massenanziehungskräfte mit der deutlich kleineren, von der Rotationsachse der Erde nach außen gerichteten Zentrifugalkraft darstellt. Diese effektive Schwerebeschleunigung wird als Schwere bezeichnet. Außerdem erzeugen Massendichte-Inhomogenitäten und zeitliche Massenumlagerungen im Erdinneren räumliche und zeitliche Variationen der Schwerkraft an der Erdoberfläche, die mit Gravimetern detektiert und registriert werden können. In diesem Zusammenhang gestatten gravimetrische Vermessungen auch die Untersuchung geologischer Strukturen wie Störungszonen, Verwerfungen, Salzstöcke und vulkanische Formationen sowie Erzlagerstätten.
Die stärksten Schwankungen der Schwerekraft werden durch die sich periodisch ändernden Positionen von Mond und Sonne gegenüber der Erde und die damit verbundenen Deformationen des Erdkörpers verursacht (Ozean- und Erdgezeiten sowie dadurch induzierte Auflast-Effekte)
Beispiele für Schwerevariationen bzw. Schwerkraftunterschiede (Δg) an der Erdoberfläche (ausgedrückt als Fallbeschleunigung):
Zeitliche Schwereänderungen können mit Absolut- und Relativ-Gravimetern registriert werden. Die genauesten und zeitlich stabilsten Relativ-Gravimeter sind Supraleit-Gravimeter (SG). Diese Instrumente gehören im Prinzip zu den Feder-Gravimetern. Aber im Gegensatz zu klassischen Feder-Gravimetern besitzen Supraleit-Gravimeter keine mechanische Feder sondern ein „virtuelles Feder-Design“. Das bedeutet, dass eine mit flüssigem Helium gekühlte, supraleitende diamagnetische Kugel im hochstabilen Magnetfeld eines supraleitenden Elektromagneten schwebt.
Wie alle Gravimeter registriert auch ein Supraleit-Gravimeter nur die Summe aller Schwerevariationen aus der näheren und weiteren Umgebung des Messpunkts. D.h. die SG-Aufzeichnungen umfassen Schwereeffekte verschiedener Quellen. Hinzu kommt, dass der Sensor in einem Gravimeter aufgrund des Einsteinschen Äquivalenzprinzips sowohl Änderungen der Newtonschen Gravitationskraft (auf Grund von Massenverlagerungen und Dichteänderungen) als auch Trägheitskräfte durch Beschleunigungen registriert.
Um die verschiedenen Schwere-Komponenten in der Zeitreihe eines Gravimeters zu trennen, sind ausgeklügelte Analyse-Verfahren unter Einbeziehung anderer Messdaten wie meteorologische und hydrologische Registrierungen notwendig.
Zu den Forschungsthemen im Zusammenhang mit der Supraleitgravimetrie gehören:
Gegenwärtig sind weltweit ca. 30 Supraleit-Gravimeter im Rahmen des IAG-Services International Geodynamics and Earth Tide Service (IGETS) in permanentem Messbetrieb installiert. Das GFZ betreibt die IGETS-Datenbank und stellt die Daten seiner beiden Supraleit-Gravimeter aus den geodynamischen Observatorien SAGOS (South African Geodynamic Observatory Sutherland“ und ZUGOG (Zugspitze Geodynamic Observatory Germany) zur Verfügung.
Das Zugspitze Geodynamic Observatory Germany (ZUGOG) wird Ende 2017 auf dem Gipfel der Zugspitze in den Alpen vorbereitet. Die wesentlichen Zielsetzungen sind zum einen die Validierung und Kalibrierung der Satellitenmission GRACE Follow-On und zum anderen die Unterstützung laufender Untersuchungen zu alpinen Gebirgsbildungsprozessen und zu klimarelevanten hydrologischen Veränderungen eingebettet in die Aktivitäten der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus.
Das South African Geodynamic Observatory Sutherland (SAGOS) des GFZ wurde zwischen 1998 und 2000 eingerichtet und beruht auf einem 1998 zwischen dem GFZ und der National Research Foundation (NRF) South Africa unterzeichneten Kooperationsvertrag. Das Observatorium befindet sich auf dem Campus des South African Astronomical Observatory (SAAO) und wird durch Mitarbeiter von SAAO und GFZ gemeinsam unterhalten.
Das SAGOS-Observatorium befindet sich ca. 350 km nordöstlich von Kapstadt (bei 20.81° östlicher Länge und 32.38° südlicher Breite in ca. 1755 m Höhe über dem Meeresspiegel). Die Küste des Südatlantischen Ozeans ist ca. 200 km entfernt. Die Region um Sutherland ist tektonisch gesehen eine sehr ruhige Zone, weit entfernt vom tektonisch aktiven Ostafrikanischen Grabenbruch. Geologisch handelt es sich hier um ein großes Dolorit-Plateau mit einer mehrere Kilometer mächtigen Lage Dolorit. Der in Sutherland unmittelbar anstehende Fels ermöglicht eine sehr gute Ankopplung der für die Supraleit-Gravimetrie (SG) installierten Pfeiler an das Grundgestein. Die Umgebung ist eine einsame Gegend ohne Industrie und Mikro-Seismizität.
Klimatisch gesehen liegt Sutherland an einem Übergang zwischen Sommer- und Winter-Niederschlagszonen. Dadurch treten keine starken jahreszeitlichen Temperaturschwankungen auf. Das Observatorium wurde außerdem in einem Hügel unter der Erdoberfläche errichtet (siehe obenstehende Abbildung) und ist dadurch vor störenden Umwelteinflüssen wie starken Winden und Temperaturschwankungen gut geschützt. Alle Räume sind thermisch isoliert und die Messkammer ist mit einer Klimaanlage ausgestattet. In der Messkammer befinden sich drei Pfeiler, die direkt im Dolorit-Fels gegründet sind. Zwei dieser Pfeiler dienen der Aufstellung von Supraleit-Gravimetern oder anderen geophysikalischen Messinstrumenten. Der dritte Pfeiler ist für Absolut-Schweremessungen vorgesehen, die in gewissen Zeitabständen zur Kalibrierung der Supraleit-Gravimeter durchgeführt werden müssen. In der äußeren Umgebung des Observatoriums wurden vier weitere Pfeiler zur Aufnahme von GNSS-Antennen oder anderen geodätischen Vermessungsinstrumenten errichtet.
SAGOS ist ein hochgenau registrierendes geodynamisches Observatorium, das geowissenschaftliche Raumverfahren und Boden-Instrumente umfasst. Gegenwärtig sind hier folgende Messsysteme installiert:
Supraleit-Gravimeter gestatten eine stationäre und kontinuierliche Registrierung zeitlicher Variationen des Erdschwerefelds mit sehr hoher Genauigkeit. Diese Messungen dienen hauptsächlich der Untersuchung von Massentransport-Phänomenen im System Erde, die mit Prozessen in der Atmosphäre und der Hydrosphäre zusammenhängen. Außerdem können damit global ablaufende, geodynamische Variationen des Erdschwerefelds wie Kernschwingungen, Erd- und Ozeangezeiten sowie Auflasteffekte studiert werden.
Das Zugspitze Geodynamic Observatory Germany (ZUGOG) wurde im September 2018 auf dem Gipfel der Zugspitze in den Europäischen Alpen in Betrieb genommen. Die wesentlichen Zielsetzungen sind zum einen die Validierung und Kalibrierung der Satellitenmission GRACE Follow-On und zum anderen die Unterstützung laufender Untersuchungen zu alpinen Gebirgsbildungsprozessen und zu klimarelevanten hydrologischen Veränderungen eingebettet in die Aktivitäten der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus. Dieses zweite geodynamische Observatorium des GFZ umfasst das Supraleitgravimeter OSG 052, das zuvor in Sutherland betrieben wurde, eine permanente GNSS-Station und ein lokales Netzwerk von hydrologischen und meteorologischen Sensoren. Die Messdaten des Supraleitgravimeters stehen registrierten Nutzern in der IGETS-Datenbank des GFZ Potsdam zum Herunterladen zur Verfügung. Bei Benutzung des Datensatzes sollte folgende Referenz angegeben werden:
Voigt, C., Pflug, H., Foerste, C., Flechtner, F., Rehm, T. (2019) Superconducting Gravimeter Data from Zugspitze – Level 1. GFZ Data Services. http://doi.org/10.5880/igets.zu.l1.001
Mit Hilfe von Satelliten (präzise Vermessung der Bahnstörungen, Abstandsmessungen zwischen 2 Satelliten, Satelliten-Gradiometrie) kann man globale Gravitationsfeldmodelle sehr homogen über Kontinente und Ozeane hinweg berechnen. Da Satelliten aber hoch über der Erdoberfläche fliegen, ist die räumliche Auflösung der Schwerefeldvermessung begrenzt. Demgegenüber lässt sich das Schwerefeld mit traditioneller terrestrischer Gravimetrie am Erdboden mit sehr hoher räumlicher Auflösung messen. Aber die homogene terrestrische gravimetrische Vermessung einer größeren Region ist nur mit großem ökonomischen und zeitlichen Aufwand, oder, wie z.B. im Hochgebirge, in Dschungelgebieten oder in der Antarktis, überhaupt nicht möglich. Und auch auf Seen und Meeren lassen sich wegen der Wellenbewegung der Schiffe keine klassischen Federgravimeter weiter. Die Flug- und Schoiffsgravimetrie kann dazu verwendet werden, diese Lücke zwischen traditioneller und Satelliten-Gravimetrie zu schließen, um beispielsweise regionale Schwerefeldmodelle zu entwickeln. Dank der Verfügbarkeit der GNSS-Systeme findet die Flug- und Schiffsgravimetrie nicht nur in der geowissenschaftlichen Grundlagenforschung und in der Lagerstätten-Erkundung Anwendung, sondern wird auch in der Geodäsie bei der Geoidbestimmung zur Vereinheitlichung nationaler Höhensysteme genutzt.
Moderne Gravimeter für den Einsatz auf Flugzeugen und Schiffen sind speziell konstruierte transportable Feder-Gravimeter, die auf kreisel-stabilisierten Plattformen installiert sind. Dazu gehören GNSS-Empfänger und Trägheits-Naviationssysteme, deren Messungen die notwendige Reduktion der nicht-gravitativen Störbeschleunigungen der Messplattform gestatten.
Das Instrumentarium am GFZ für Gravimetrie auf Flugzeugen und Schiffen besteht aus einem mobilen Gravimeter Chekan-AM hergestellt durch CSRI "Elektropribor", einem Trägheits-Naviationssystem (INS) AEROcontrol-II und vier 4 GNSS-Empfängern vom Typ JAVAD Delta G3T. Im Bereich der Fluggravimetrie kamen diese Instrumente zuletzt im Rahmen der GEOHALO-Mission zum Einsatz. Schiffsgravimetrie wird vom GFZ gegenwärtig intensiv im FAMOS-Projekt durchgeführt.
Abe, M., Kroner, C., Förste, C., Petrovic, S., Barthelmes, F., Weise, A., Güntner, A., Creutzfeldt, B., Jahr, T., Jentzsch, G., Wilmes, H., Wziontek, H. (2012): A comparison of GRACE-derived temporal gravity variations with observations of six European superconducting gravimeters. Geophysical Journal International, 191, 2, p. 545-556, doi.org/10.1111/j.1365-246X.2012.05641.x
Weise, A., Kroner, C., Abe, M., Creutzfeldt, B., Förste, C., Güntner, A., Ihde, J., Jahr, T., Jentzsch, G., Wilmes, H., Wziontek, H., Petrovic, S. (2012): Tackling mass redistribution phenomena by time-dependent GRACE- and terrestrial gravity observations. Journal of Geodynamics, 59-60, p. 82-91, doi.org/10.1016/j.jog.2011.11.003
Neumeyer, J. (2010): Superconducting Gravimetry. In: G. Xu (eds.), Sciences in Geodesy - I, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, doi:10.1007/978-3-642-11741-1_10