Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Am 23. August 2017 ging in den Schweizer Alpen ein Bergsturz mit gewaltigen Ausmaßen nieder. Wir sprechen darüber mit Anne Schöpa, Wissenschaftlerin aus der GFZ-Sektion Geomorphologie, sie forscht unter anderem zum Thema Bergstürze.

GFZ: Was genau ist ein Bergsturz?

Anne Schöpa: Ein Kollaps einer ganzen Bergflanke oder eines ganzen Berges mit mehr als einer Million Kubikmeter abgegangenem Gesteinsmaterial.

GFZ: Unter welchen Umständen kommt es zu einem Bergsturz wie aktuell in der Schweiz?

Schöpa: Generell sind Steinschläge und Bergstütze ein natürlicher Prozess im Gebirge, und können überall dort auftreten, wo es steiles Gelände gibt. Mit der Zeit verwittert das Gestein, die Minerale, die es aufbauen, werden zersetzt. Das passiert durch physikalische Vorgänge wie Temperaturschwankungen oder Gefrierzyklen, durch chemische Lösung und biologische Vorgänge wie Wurzelsprengung und mikrobielle Tätigkeit. So können einzelne Blöcke aus dem Gesteinsverband abgetrennt werden und als Steinschlag den Hang hinunterfallen.

Von der Art des Gesteins, dessen Festigkeit und dem Vorkommen von Grenzschichten oder Unterbrechungen in der Gesteinsfolge ist es abhängig, wie groß die einzelnen Gesteinsblöcke werden. Ein weiterer Faktor sind Gletscher, die den Berghang unterschneiden und so zum Abbruch von Material führen. Unterhalb der Nordflanke des Piz Cengalo, von der der Bergsturz in der Schweiz abging, gibt es einen kleinen Gletscher. Er ist größtenteils von Geröll bedenkt, was ein Zeugnis für unzählige Steinschläge ist.

GFZ: Was könnten Ursachen für den aktuellen Bergsturz gewesen sein? Die Wetterlage?

Schöpa: Wie ich Quellen im Internet entnommen habe, gab es in der Region keine ungewöhnlich heftigen Niederschläge in den letzten Tagen. Starkregenereignisse können die Ursache von Bergstützen sein, sind es wohl aber in diesem Fall nicht.

Ursachen des Bergsturzes könnten der abtauende Gletscher am Fuße des Piz Cengalo und schmelzender Permafrost in höheren Gipfellagen sein. Das Widerlager des Gletschers wird immer kleiner und das Abschmelzen des Permafrosteises kann ebenfalls Felsmassen destabilisieren.

GFZ: Wie lassen sich gefährdete Hänge überwachen und wie funktioniert die Frühwarnung?

Schöpa: Hier muss man unterscheiden: Es gab den Bergsturz, der dann im Tal zu einem Murgang führte. Ein Murgang ist eine Mischung aus Wasser und Geröll und fließt mit etwa fünf Metern pro Sekunde. Der Bergsturz ist ein sehr plötzliches Ereignis und eine Warnung deshalb fast nicht möglich. Wir arbeiten aber daran, mit seismischen Methoden kleine Brüche und Steinschläge als Vorboten von großen Ereignissen identifizieren zu können. Wenn ein Seismometer dicht genug an einem Berghang steht, kann es die Signale von Brüchen und kleineren Steinschlägen aufzeichnen. Wir haben hier nur Zugang zu einer permanenten seismischen Station, 35 Kilometer nordwestlich vom Piz Cengalo gelegen, und konnten dort solche Vorboten nicht identifizieren.

Das Frühwarnsystem in Bondo hat erfolgreich vor dem Murgang im Gerinnekanal gewarnt: Das Dorf wurde evakuiert. Mir liegen keine genaueren Informationen zu dem Frühwarnsystem in Bondo vor. Für ein Murgang-Frühwarnsystem im Illgraben im Kanton Wallis sind Radarsensoren an Betonausschalungen im Gerinne installiert, mit denen der Wasserstand kontrolliert wird. Außerdem sind Geophone, also Instrumente zur Messung seismischer Bodenbewegungen, in den Boden der Verbauung eingelassen. Sie detektieren die Erschütterungen, wenn große Steine vom Murgang darüberhinweg transportiert werden. Weiter unten Im Tal wird dann ein Alarm ausgelöst.

GFZ: Gibt es auch in Deutschland gefährdete Regionen?

Schöpa: Ja, grundsätzlich sind alle steilen Gebirgshänge von Erosion, also Abtragung betroffen, weil sie eben Höhenunterschiede aufweisen und oft übersteilt sind. Unzählige Schutztunnel für Straßen, Fangnetze und Felsanker zeugen davon.

Größere Bergstütze sind allerdings sehr selten. Ein sehr großes Ereignis ist zum Beispiel der Eibseebergsturz vor 3500 Jahren, der 400 Millionen Kubikmeter Material von der Nordseite der Zugspitze ins Tal transportierte.

GFZ: Woran forschen Sie aktuell?

Schöpa: Ich leite ein Steinschlag-Observatorium im Reintal, in den deutschen Alpen, in der Nähe der Zugspitze. Dort gab es vor etwa 500 Jahren einen Bergsturz bei dem 2,8 Millionen Kubikmeter Material transportiert wurden. In der Ausbruchsnische hängt noch immer Material und unsere Instrumente überwachen dieses Volumen von 80.000 Kubikmetern mit seismischen und optischen Methoden. Ein Netzwerk von sechs Seismometern ist im Ring um diese Bergflanke installiert, Kameras, die Infrarot- und sichtbares Licht aufnehmen, sind darauf gerichtet, Wetterstationen messen wichtige Umweltdaten. 

Allerdings geht es uns im Reintal auch um ein generelles Prozessverständnis: Wie verhalten sich steile Gebirgshänge über die Zeit? Welches sind die Auslöser von Steinschlägen? Gibt es saisonale Unterschiede in der Steinschlaghäufigkeit? Gibt es mehr Steinschläge an der Nord- oder der Südwand?

25.08.2017. Das Interview führte Ariane Kujau

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