Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Warum hat das Wasser eine solche Kraft?

Interview mit Michael Dietze zu den Mechanismen hinter den zerstörerischen Hochwassern: Wie sogar Straßen und Häuser weggeschwemmt werden.

Von der Flutkatastrophe der letzten Tage geht in zweifacher Hinsicht eine Gefahr aus: Zum einen sind die Wassermassen eine direkte Bedrohung für die Menschen, weil sie darin ertrinken können – sowohl im Freien, als auch in Gebäuden, wo vor allem Keller zu tödlichen Fallen werden können. Zum anderen reißt das fließende Wasser Dinge mit sich, von denen wir glauben, sie stünden fest auf dem Boden – nicht nur Autos oder Container, sondern sogar ganze Häuser und Straßen.

Wie kann das Wasser eine solche Kraft entfalten?

Zunächst einmal gilt: Ein Kubikmeter Wasser wiegt eine Tonne. Das heißt, Wasser kann einen enormen Druck aufbauen, wenn es direkt auf ein Hindernis trifft. In Bewegung gebracht, ergibt das enorme Kräfte, die auf Autos oder Container wirken und diese einfach vor sich herschieben können, wenn sie nicht sehr fest verankert sind. Hinzu kommt dann das Phänomen der Erosion, das vermeintlich stabile Oberflächen zerstören kann: (Erd-)Oberfläche wird durch schnell fließendes Wasser abgetragen.

Können Sie das näher erläutern?

Die starken Niederschläge bringen so große Wassermengen auf die – oft bereits durch vorherige Niederschläge gesättigten – Böden, dass sie dort nicht mehr versickern können. (Lehmböden können beispielsweise sehr viel weniger Wasser aufnehmen und ableiten als Sandböden.)

Das Wasser fließt dann oberflächlich ab: Es bahnt sich seinen Weg bis in Bäche und Flüsse. Einmal in diesen Gerinnen angekommen kann es sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen (in Flüssen schon unter normalen Bedingungen in der Größenordnung von einem Meter pro Sekunde).

Je höher nun die Geschwindigkeit, je höher das Gefälle – speziell an lokalen Stufen wie Böschungen und Geländekanten – und je tiefer der Fluss, desto mehr Kraft kann das Wasser am Untergrund entfalten: Dort, wo es entlang strömt, zieht es quasi mit der Kraft eines Gewichts von mehreren Kilogramm. Das reicht aus, um Sand, Steine und auch Schutt wegzureißen.

Aber ja noch keine Häuser und Straßen…?

Nein. In der Folge wirkt aber nicht mehr nur das Wasser selbst, sondern auch diese mitgeführten Partikel. Sie schlagen in Boden, Straßen und Hauswände ein und entfalten dabei eine enorme Erosionsleistung. Sobald Teile davon erst einmal angegriffen sind, kann das darunter liegende Material viel leichter davongetragen werden. Es entstehen Unterhöhlungen, denn Straßen und Häuser sind oft auf unverfestigtem Grund gebaut, und weiteres Material kann ganz leicht nachbrechen. Dieses Zusammenspiel von mitgeführtem Material und der Kraft, freigelegtes weiteres Material einfach wegzuführen, verleiht dem schnell fließenden Wasser die Kraft, solch enorme Schäden in kurzer Zeit herbeizuführen.

Sie selbst erforschen solche Prozesse?

Am GFZ Potsdam untersuchen wir unter anderem, wie genau Wasser Sediment mobilisiert, wie sich Flutwellen bewegen, und mit welcher Wucht sie sich ihren Weg durch die Landschaft bahnen. Solche Fluten entstehen nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo Starkniederschläge auftreten können. Besonders gefährlich sind solche Niederschlagsereignisse im Hochgebirge, wo in der Folge plötzlich versagende Dämme ganze Seen zum Auslaufen bringen oder Bergstürze gewaltige Eismengen schmelzen, und damit Flutwellen in den engen Tälern erzeugen.

Gibt es eine Möglichkeit, vor solchen Ereignissen zu warnen?

Es gibt hierfür zwei Ansätze. Aus Wettervorhersagen lassen sich Warnhinweise ableiten. Zum Beispiel können Wettervorhersagen in hydrologische Modelle gespeist werden, um Vorhersagen zum Auftreten und zur Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen zu machen.

Problematisch sind immer Erosionsprozesse. Sie vorherzusagen ist schwierig, vor allem weil diese Ereignisse sehr schnell ablaufen und ihre Intensität schwer genau einzuschätzen ist. Mithilfe von Satellitenbildern und vor allem Seismometern versuchen wir Forschenden seit einigen Jahren, diese Flutwellen nahezu in Echtzeit zu verfolgen und deren Intensität berechnen. Die Forschung dazu steht noch am Anfang, hat aber immenses Potential, um möglichst rasch die Bevölkerung vor solchen Fluten zu warnen, nicht nur hier in Deutschland, sondern in vielen gefährdeten Gebieten weltweit.

 

Kommentar zum Foto (Michael Dietze):

Aufnahme aus der Gemeinde Loch, etwas unterhalb der Steinbachtalsperre. Die sanfte Hangdelle ohne Gerinne hatte sich diese Woche in einen Fluss verwandelt, der über einen Geländeknick geschossen ist und dieses Amphietheater ausgebildet hat (fast wie die Niagarafälle, nur kleiner). Auf dem Feld oberhalb lagen meterlange Baumstämme (30 cm Durchmesser), da muss also eine Menge Wasser geflossen sein. Unten im Dorf hat dann der Hang in den Fluss entwässert und dort jede Menge Häuser und Straßen weggerissen.  

 

 

Wissenschaftlicher Kontakt:

Dr. Michael Dietze

Sektion Geomorphologie
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-28827
E-Mail: michael.dietze@gfz-potsdam.de

sowie:  Geografisches Institut der Universität Bonn

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