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Interview | „Globaler Wärmestrom der Erde im Fokus “ – Arbeitsgruppenleiter Sven Fuchs im Interview

Interview | „Globaler Wärmestrom der Erde im Fokus “ – Arbeitsgruppenleiter Sven Fuchs im Interview

Wir sprechen mit Sven Fuchs über die Datenbank des globalen terrestrischen Wärmestroms, dessen Relevanz für die Erdsystemforschung und eine kürzlich gestartete internationale Initiative zu deren umfassender Überarbeitung.

Daten zur Temperaturverteilung im tiefen Untergrund der Erde sind schwer zu erheben, entsprechende Rohdaten und Forschungsergebnisse daher sehr wertvoll. Kürzlich wurde Dr. Sven Fuchs von der "International Heat Flow Commission" als Kurator der globalen terrestrischen Wärmestrom-Datenbank berufen. Fuchs und sein Team bearbeiten in Sektion 4.8 - Geoenergie - unter anderem den terrestrischen Wärmestrom als Schlüsselparameter zum Verständnis thermischer Geosystemmodelle. Nun tragen sie die Verantwortung für die wissenschaftliche Betreuung einer seit 80 Jahren gewachsenen weltweiten Datensammlung mit über 74.000 Datensätzen zum Wärmestrom. Um die Qualität der hinterlegten Daten sicherzustellen und die Datenbank den heutigen Möglichkeiten und Bedürfnissen anzupassen, wurde im Mai unter der Federführung von Fuchs das internationale "Global Heat Flow Data Assessment Project" mit einem kollaborativen Überarbeitungs- und Bewertungsansatz gestartet. Hierfür haben sich bisher fast 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 23 Ländern zusammengefunden, um gemeinsam diese große Aufgabe zu stemmen.

Sven Fuchs ist Leiter der neuen Arbeitsgruppe „Exploration thermischer Geosysteme“. Er ist gewähltes Mitglied der „International Heat Flow Commission“ (IHFC) und Task Force Leader des „International Lithosphere Programs“ (ILP). Bei der IHFC handelt sich um eine Kommission der Internationalen Vereinigung der Seismologie und der Physik des Erdinneren (IASPEI) innerhalb der Internationalen Union für Geodäsie und Geophysik (IUGG).

Herr Dr. Fuchs, worum handelt es sich genau beim globalen Wärmestrom der Erde?

Der Wärmestrom der Erde resultiert aus dem Temperaturunterschied zwischen dem Erdinneren und der Erdoberfläche und quantifiziert das Wärmeangebot unseres Planeten, der sich seit seiner Entstehung graduell abkühlt. Der Wärmestrom berechnet sich aus dem Temperaturgradienten im Erdinnern und der Wärmeleitfähigkeit der Gesteine. Er variiert mit der Tiefe und örtlich, je nach strukturellen und geochemischen bzw. petrologischem Aufbau und dem jeweils vorhandenen Anteil natürlicher radiogener Wärmeproduktion der Erdkruste.

Der Wärmestrom ist eine wichtige Bilanzierungs- und Grundgröße zur Beschreibung des thermischen Feldes der Erde und eine unverzichtbare Eingangsgröße für viele thermische Modellierungen. Wichtig ist die Kenntnis des Wärmestroms beispielsweise für die Charakterisierung von geodynamischen Prozessen und von regionalen geologischen Einheiten wie Sedimentbeckensystemen. Auch wenn es um eine nachhaltige Bewirtschaftung des Untergrundes und um die Nutzung geothermischer Ressourcen geht sind wir auf diese Größe angewiesen. Wir müssen beispielsweise verstehen, wie sich Geosysteme im Untergrund bei einer technologischen Nutzung thermisch verhalten. Dort, wo wir die Wärme der Erde direkt nutzen wollen, brauchen wir den Wärmestrom unter anderem für das Prozessverständnis.

Welche Relevanz hat die Kenntnis dieses globalen Wärmestroms für die technologische Nutzung des Untergrundes?

Für die Geothermie beispielsweise ist der Wärmestrom sowohl bei der Erkundung und Prognose von Förderpotentialen und Zieltiefen als auch für Bewertung der thermischen Nachhaltigkeit verschiedener Erschließungskonzepte von Bedeutung. Konkret heißt das: präzise Kenntnis ermöglicht uns, verlässlichere Aussagen zur Dauer einer nachhaltigen thermischen Standortbewirtschaftung geben zu können. Mit solchen soliden Planungsgrundlagen unterstützen wir auch den Umbau zu einer geo­thermisch-betriebenen und emissionsneutralen Fernwärmebereitstellung.

Aktuell kooperieren wir hierzu unter anderem mit den Stadtwerken in Potsdam und Schwerin. Grundsätzlich ist der Parameter für das Verständnis von temperatursensitiven Prozessen und deren Modellabbildung im Untergrund wichtig. Er spielt also etwa auch eine Rolle für die geologische Speicherung von warmem Wasser in sogenannten ATES-Systemen oder von Gasen, wie etwa bei der geologischen Wasserstoffspeicherung.

Sie und viele Ihrer Kolleg:innen weltweit haben nun vor, eine große Datensammlung für die Zukunft sichern. Was ist die konkrete Idee dahinter?

Der Wärmestrom wird seit 80 Jahren beforscht und seit rund 60 Jahren systematisch durch die „International Heat Flow Commission“ gesammelt. In diesem Zeitraum hat sich auf fachlicher und technologischer Ebene viel getan. Viele Daten – vor allem aus älteren Publikationen – liegen jedoch selten in einheitlicher Weise vor. Auch sind die für eine Bewertung der Datenqualität notwendigen Meta-Daten und Indikatoren meist gar nicht erfasst. Mit dem „Global Heat Flow Data Assessment Project“ sollen die Bestandsdaten inhaltlich überarbeitet und aktualisiert werden. Dabei werden, soweit aus den Ursprungspublikationen möglich, auch neu definierte Datenfeldeinträge zur Qualitätssicherung nachgetragen. Bei über 74.000 Datensätzen, die von fast 2.000 Autoren in mehr als 1.400 Publikation zusammengetragen wurden, kann diese Herkulesarbeit nur von vielen Händen und Köpfen erledigt werden und wird sicher die nächsten Jahre in Anspruch nehmen. Ohne diesen Einsatz allerdings kommen wir jedoch auch nicht zu einer wirklichen qualitätsgesicherten und authentifizierten Datenbank. Kurz gesagt, im Augenblick wissen die Nutzer der Datenbank derzeit schlicht nicht, welche Qualität die hinterlegten Werte haben und ob sie überhaupt für Modellberechnungen oder -validierungen brauchbar sind.

Welche Art von Daten enthält die globale Wärmestrom-Datenbank konkret?

Neben dem Wärmestromwert enthält die Datenbank Informationen zur Lokalität, den dazugehörigen Temperaturgradienten und den thermischen Gesteinseigenschaften. Darüber hinaus werden zahlreiche Metadaten zu den eingesetzten Methoden, Bedingungen und gegebenenfalls durchgeführten Korrekturen dokumentiert. Damit wird es auch möglich, für die Daten eine Qualitätsbewertung durchzuführen, die auch Nichtexperten eine eindeutige Information zu den Unsicherheiten der aufgeführten Werte mitgibt. Die überarbeitete Datenbank liefert damit Wissenschaft und Industrie Grundlagendaten für thermische Modelle gleich welcher Zielstellung und Skalierung und ist ein substantieller Beitrag zu einem verbesserten Erdsystemverständnis.

Sie sagten, dass es sich bei der Datensammlung um die Forschungsergebnisse von fast 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehr als 1.400 Publikationen handelt. Was werden die wesentlichen Herausforderungen sein, um dieses Wissen zu systematisieren? Was sind die Meilensteine des Projekts?

Herausfordernd ist sicher die gemeinschaftliche Überarbeitung effizient und zielgerichtet zu steuern, damit die vielen Beteiligten die große Zahl an Daten einheitlich und transparent bearbeiten können. Wir haben hierzu gemeinschaftlich in der Wärmestrom-Community Richtlinien definiert und administrieren nun die Datenverwaltung über das Internet. In drei Jahren wollen wir mindestens Zweidrittel der Daten überarbeitet haben und das mit jährlichen Updates der Datenbank begleiten, um die fortlaufende Verbesserung der Datenbank zeitnah zugänglich zu machen. Zusätzlich sehen wir aber auch die Notwendigkeit, die Kriterien für verlässliche Wärmestromdaten stärker ins Bewusstsein von Autoren, Gutachtern und Journal-Editoren zu rücken, um die Qualität entsprechender Publikationen nachhaltig zu steigern. Da gibt es, das sehen wir auch an den aktuellen Publikationen, definitiv Nachholbedarf.

Zu Beginn werden fast 80 Kolleg:innen aus 23 Ländern an dieser Initiative mitwirken. Was können sie beitragen?

Sehr viel! Grundsätzlich tragen die Kolleginnen und Kollegen nämlich die Hauptlast bei der Bewältigung der Überarbeitung. Alle Freiwilligen haben sich zu einer jährlichen Mindestanzahl an zu überarbeitenden Publikationen verpflichtet. Darüber hinaus bringen Sie aber vor allem ihre konkrete Expertise mit, beispielsweise bei der Bestimmung des marinen oder des terrestrischen Wärmestroms, für die jeweils unterschiedliche Methoden und Techniken genutzt werden.

Wie haben Sie so viele Kolleg:innen dazu bewegen können Sie zu unterstützen?

Die Notwendigkeit einer qualitätsgesicherten globalen Wärmestromdatenbank ist schon lange Thema in der Heat-Flow Community. Bislang wurde der große Aufwand einer Überarbeitung jedoch gescheut. Vernetztes und digitales Arbeiten macht es vielen Kolleginnen und Kollegen möglich, sich mit einem überschaubaren Arbeitsaufwand einzubringen und sozusagen Teil des Produkts zu werden. Das motiviert. Die hier vorgestellte Initiative findet auch über die engere Fach-Community breiten Zuspruch.

Gerade wurde uns der Status einer ‚Task Force‘ beim International Lithosphere Program zuerkannt. Solche ‚Task Forces‘ adressieren globale Herausforderungen an der Schnittstelle von Geologie und Geophysik, wie es für die Überarbeitung der globalen Wärmestromdatenbank der Fall ist. Wir sind zuversichtlich, dass sich nach dem offiziellen Projektstart auch weiterhin noch mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dieses spannende Projekt einbringen werden.

Wie wird sich das GFZ in dieses Projekt einbringen können? Welches Know-how haben wir?

Das GFZ leitet und koordiniert diese globalen Bemühungen. Über viele Jahre haben wir mit unserem fachlichen Engagement die Diskussionen in der globalen Community begleitet und mitgestaltet. Wir kennen das Vorgehen und die Fallstricke zur Bestimmung des terrestrischen Wärmestroms aus zahlreichen Projekten mit unterschiedlichen Daten auf unterschiedlichen Skalen. Wir wissen um die Bottlenecks im Labor, wenn es zum Beispiel um die thermische in-situ Charakterisierung von Gesteinen geht, aber auch, welchen Einfluss der Wärmestrom als Eingangs- oder Validierungsparameter auf krustale Modelle haben kann. Der Umfang an nötigen Überarbeitungen ist immens und überstieg bisher aber immer die Kapazitäten einzelner Personen.

Zum Abschluss noch eine Frage: für viele Wissenschaftler:innen war das Pandemie-Jahr sehr schwierig, weil die Möglichkeit Feldforschung vor Ort zu betreiben äußerst begrenzt war. Wie war die Zeit für Sie?

Auch für uns war das Jahr schwierig. Unser Daten-Kerngeschäft sind thermophysikalische Messungen im Labor und Temperaturmessungen in Bohrlöchern. Diese waren lange nur extrem eingeschränkt oder gar nicht möglich.

Wir haben uns in der Zeit stark auf digitale Forschungsaspekte konzentriert. So konnten wir mit einem globalen Team von rund 20 freiwilligen Wissenschaftler:innen eine neue Struktur für die Forschungsdaten rund um die „Global Heat Flow Database“ entwickeln, vermutlich auch, weil die Pandemie fast jeden betraf. Außerdem haben wir ein Update der Datenbank publiziert und Online-Tools entwickelt, welches als Grundlage und Steuerinstrument für die nun anstehende Überarbeitung dienen soll. Bei den Publikationen war uns übrigens das Forschungsdaten-Team der Bibliothek und Informationsdienste (LIS) eine große Hilfe.

 

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Sven Fuchs
Arbeitsgruppenleiter
Geoenergie
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-1713
Email: sven.fuchs@gfz-potsdam.de


Medien Kontakt:

Dipl.-Geogr. Josef Zens
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telegrafenberg
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E-Mail: josef.zens@gfz-potsdam.de

 

 

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