Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Geomagnetischer Sturm vom 12.5.2021

Interview │ Wir sprachen mit Prof. Claudia Stolle über den Geomagnetischen Sturm vom 12.5.2021.

Am Morgen des 12.5.2021, um 9 Uhr unserer Zeit, haben die GFZ-Observatorien einen deutlichen und plötzlichen Magnetfeldimpuls gezeigt. Das Magnetfeld im Sonnenwind wiederum war immer wieder südwärts gerichtet, was auf einen bald folgenden Sturm hinweisen kann. Wenn geladene Partikel tiefer in das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre als sonst eindringen, können insbesondere Satelliten und in Extremfällen auch unsere gesellschaftsrelevante, technische Infrastruktur auf der Erde großen Schaden nehmen. Wir sprachen mit Prof. Claudia Stolle, die diesen Geomagnetischen Sturm für uns einordnet und grundsätzliche Hintergründe erläutert.


Frau Prof. Stolle, am 12.5.2021 gab es Sonnenwind-Alarm. Können Sie bitte kurz erklären, was der Sonnenwind ist und warum wir uns deshalb auf der Erde sorgen müssen?

Prof. Claudia Stolle:
Der Sonnenwind beschreibt den kontinuierlichen Strom von der Sonne ausgestoßenen Partikeln, hauptsächlich Protonen und Elektronen, die in den Weltraum propagieren. Er existiert immer und bei normaler Sonnenaktivität merkt man nicht viel im Erdmagnetfeld und auf der Erde, nur ab und zu ein paar Polarlichter in den polaren Gebieten. Bei Eruptionen auf der Sonnenoberfläche wird der Sonnenwind jedoch dichter und schneller und dann kommt es zu starken, unregelmäßigen Wechselwirkungen mit dem Erdmagnetfeld.  Elektrische und magnetische Felder um und in der Erde werden verstärkt und Partikel dringen tiefer in das Erdmagnetfeld und in die Atmosphäre ein als sonst. Dies kann wiederum wichtige satelliten- und bodengestützte Infrastruktur schädigen.


Wie besonders war für Sie als Expert*in dieser geomagnetischer Sturm vom 12.5.2021? Und wie bedrohlich? Die Frage steht vor dem Hintergrund, dass ziemlich genau vor 100 Jahren, am 13.5.1921, der stärkste Sonnensturm des 20. Jahrhunderts, der sogenannte New Yorker Railroad Storm stattfand. Er hat drei Tage gedauert und für damalige Verhältnisse durchaus einige gravierende Schäden angerichtet. Lassen sich diese beiden Ereignisse in irgendeiner Weise vergleichen?

C. Stolle: Der Sturm am 12. Mai 2021 war insofern besonders, dass er im jetzigen solaren Minimum stattfand, wenn sich eigentlich sehr wenig Stürme ereignen. Der letzte Sturm in ähnlicher Stärke war im August 2018. Im abklingenden solaren Maximum zum Beispiel sind 4-5 Stürme pro Jahr keine Seltenheit. Jedoch war der jetzige Sturm letztendlich nicht besonders stark, wie etwa der letzte Supersturm, der sogenannte Halloween Sturm im Oktober 2003, der höchste Kp-Werte aufzeigte und ähnlich wie der New Yorker Railroad Storm fast drei Tage anhielt. Der jetzige Sturm hatte deshalb kaum Einfluss auf die technische Infrastruktur im Weltraum und auf der Erde gehabt. Trotzdem ist er wichtig für uns, wir haben schon konkrete Pläne, wie wir genau diesen Sturm mit Satelliten und Bodendaten untersuchen wollen. Ein Sturm wie im Jahre 1921 wäre heute eine ganz andere Nummer, da unsere Gesellschaft jetzt auf satelliten- und bodengestützte Infrastruktur aufbaut und diese stark betroffen sein könnten.


Apropos vor 100 Jahren: Welche grundsätzlichen Regelmäßigkeiten bzw. Zyklen beobachten Sie bei Sonneruptionen, die letztendlich zu Sonnenstürmen auswachsen können?

C. Stolle: Die Sonne hat einen etwa elfjährigen Zyklus und die meisten Stürme treten in der abklingenden Phase, kurz nach den Sonnenfleckenmaximum auf. Ein interessanter Punkt ist: vor hundert Jahren gab es noch keine Satelliten mit Sensoren, die den Sonnenwind messen konnten. Aber bodengestützten magnetischen Observatorien haben schon viel früher damit angefangen, solche Stürme zu messen. Die Messkurven wurden damals auf Fotopapier registriert und können heute noch analysiert werden. Dabei lernen wir über das Erdmagnetfeld, das Weltraumwetter und Weltraumklima.


Der Sonnensturm vom 12.5.2021 hat sich nicht weiterentwickelt, obwohl das nicht auszuschließen war. Wovon hängt es schlussendlich ab, ob sich ein solcher Sturm zu einem größeren und möglicherweise auch gefährlicheren Ereignis entwickelt oder nicht?


C. Stolle:
Entscheidend ist zunächst, dass sich das Magnetfeld im Sonnenwind während Stunden oder Tage immer wieder südwärts ausrichtet, sodass der Sonnenwind gut in das Erdmagnetfeld einkoppeln kann. Für ein richtig großes Ereignis braucht man dann noch mehrere Eruptionen an der Sonnenoberfläche, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit im Sonnenwind propagieren und zufällig gleichzeitig oder kurz nacheinander an der Erde ankommen, ihren Effekt also addieren.


Insbesondere ob und in welcher Intensität ein Sonnensturm in das Erdmagnetfeld einkoppeln wird, ist schwer vorhersagbar. Welche Informationen helfen Ihnen konkret bei dieser Abschätzung, und wie früh können Sie ggf. warnen?


C. Stolle:
Sonnenbeobachtungen und Messungen des Sonnenwindes selbst spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn es auf der Sonne ruhig ist, hat man in der Regel eine Sicherheit von einem Tag, dass es an der Erde ruhig bleibt. Wenn jedoch ein Sturm im Sonnenwind propagiert, weiß man nicht genau, ob er die Erde treffen wird oder nicht. Wenn man bei jeder Eruptionen auf der Sonne warnen würde, gäbe es zu viele falsche Warnungen. Man kann ja nicht mehrmals im Jahr die ganze Infrastruktur wie Stromnetze und Satelliten herunterfahren.


Was sind die wesentlichen Unterschiede bei den Arbeitsansätze der Kolleg*innen in Japan, der Expert*innen der amerikanischen Wetter- und Ozeanografie­behörde NOAA und den Methoden hier bei uns am Deutschen GeoForschungsZentrum? Was sind unsere Stärken am GFZ?

C. Stolle:
Unsere Spezialität ist die Beobachtung und Analyse des Erdmagnetfeldes durch ein globales Netzwerk von Observatorien. Da sind wir klar im Vorteil und weil es diese Methode schon länger gibt, haben wir eine riesige Nutzergruppe. Viele Modelle und Echtzeit-Warnsysteme, auch die am GFZ, basieren auf unseren Daten, und das macht unsere Arbeit wichtig. Gleichzeitig gibt es am GFZ eine sehr große Erfahrung mit der Analyse vieler Messdaten, die am Boden und auf Satelliten gemessen werden. Das geht nicht immer in Echtzeit, aber liefert das entscheidende Wissen, um sich auf zukünftige Weltraumwetter-Ereignisse vorzubereiten und das System Erde besser zu verstehen.

Weiterführende Informationen:

  • Häufig gestellte Fragen zum Thema Erdmagnetismus: Link zu den FAQs
  • Satellitenmissionen und Beobachtungen vom Erdboden: Link
  • Informationen zu planetarische Kennziffern der geomagnetischen Aktivität: Link


Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Claudia Stolle
Leitung Geomagnetismus
Albert-Einstein-Straße 42-46
Gebäude A 42, Raum 227
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288 1230
E-Mail: claudia.stolle@gfz-potsdam.de

 

Medienkontakt:
Josef Zens

Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
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Tel.: +49 331 288 1040
E-Mail: josef.zens@gfz-potsdam.de

 

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