Dr. Ugur Öztürk, ehemaliger Post-Doktorand und mittlerweile Gastwissenschaftler der GFZ-Sektion 2.6 „Erdbebengefährdung und Dynamische Risiken“, hat für sein Projekt „UrbanSlide“ einen mit 1,5 Mio. Euro dotierten ERC-Starting Grant eingeworben. Das renommierte EU-Stipendium wird vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) an exzellente jüngere Wissenschaftler:innen vergeben, die über 2 bis 7 Jahre Erfahrung nach ihrer Promotion verfügen. Es ermöglicht ihnen, ihre eigenen Projekte zu initiieren, Teams zusammenzustellen und ebenso vielversprechende wie anspruchsvolle Forschungsideen zu verfolgen.
Im Rahmen von „UrbanSlide“ will Öztürk die komplexe Dynamik des Risikos für Erdrutsche in urbanen Räumen entschlüsseln. Im Fokus seiner Forschung liegen schnell wachsende tropische Städte. Dort ist häufig eine informelle, also nicht genehmigte Stadterweiterung in steilen Hanglagen zu beobachten, was sie besonders anfällig für Erdrutsche macht.
„Mit UrbanSlide wollen wir die grundlegende Wissenslücke bezüglich der Dynamik des Erdrutschrisikos schließen, die sich aus dem komplizierten Zusammenspiel von gesellschaftlichen, klimatischen und urbanen Faktoren ergibt. Die abgeleiteten quantitativen Erkenntnisse werden insbesondere die Entwicklung von Maßnahmen zur Verringerung des Erdrutschrisikos in Städten unterstützen, indem sie das Ausmaß und die vorrangigen Regionen des künftigen Erdrutschrisikos aufzeigen“, sagt Ugur Öztürk.
Das Projekt konzentriert sich zwar auf das Risiko von Erdrutschen, legt aber die Grundlage für die Erforschung anderer Gefahren wie Überschwemmungen, seismische Aktivitäten und städtische Wärmeinseln.
„Letztendlich soll UrbanSlide einen Beitrag zur breiteren Diskussion über Klimagerechtigkeit leisten, insbesondere darüber, wie und warum Naturgefahren verarmte Gemeinschaften in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen unverhältnismäßig stark treffen“, erläutert Öztürk.
Ugur Öztürk hat die wesentlichen Vorarbeiten für seinen Projektantrag während seiner Zeit am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und an der Universität Potsdam durchgeführt. Seine Forschungsgruppe wird er nun an der Universität Wien aufbauen. Dem GFZ ist er weiter als Gast-Wissenschaftler verbunden, auch im Rahmen dieses Projektes.
Das Projekt im Detail
Die Zahl der Opfer von Erdrutschen wird weltweit zunehmen: Bereits heute sind 65 Millionen Menschen davon bedroht, im Jahr 2050 könnten es 90 Millionen sein. Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen wächst die Zahl der Menschen, die in gefährdeten Regionen leben, insbesondere in urbanen Räumen der Tropen. Zum anderen steigt die Gefahr für Erdrutsche durch klimabedingte Zunahme an Wetterextremen. Darüber hinaus mangelt es an praktischen Maßnahmen und einer fundierten Politik zum Umgang mit den wachsenden Erdrutschrisiken.
Der weltweite Anteil der Stadtbevölkerung ist von 30 Prozent im Jahr 1950 auf heute etwa 50 Prozent angewachsen und wird bis 2050 wahrscheinlich 68 Prozent erreichen. Dieser Anstieg der Stadtbevölkerung und die damit verbundenen, oft ungeplanten Landschaftsveränderungen verschärfen das Risiko von Erdrutschen, insbesondere in den Tropen. So könnte beispielsweise der informelle, also nicht genehmigte Hausbau die Hangstabilität verringern und die dort lebenden Menschen gefährden.
Parallel dazu könnte der vom Menschen verursachte Klimawandel die erdrutschrelevanten Niederschlagsextreme verdoppeln und damit die Erdrutschgefahr ebenfalls erhöhen.
Die wesentlichen Wechselwirkungen zwischen Verstädterung, demografischer Zusammensetzung, Niederschlägen und Erdrutschen sind bekannt. Dennoch ignorieren herkömmliche Risikobewertungen die Rückkopplung zwischen diesen Risikotreibern. Darüber hinaus konzentrieren sie sich auf Beobachtungen in der Vergangenheit und berücksichtigen ihre zukünftigen Zustände nicht. Das erschwert ein proaktives Risikomanagement.
UrbanSlide zielt darauf ab, die komplexe Gestaltung des Erdrutschrisikos zu entschlüsseln, indem es die kausalen Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen, ökologischen und urbanisierungsbedingten Risikofaktoren untersucht.
Mit dem Ziel, „Erdrutschen zuvorzukommen“, wird UrbanSlide ein hybrides Modell entwickeln, das prozessbasierte und statistische Modelle integriert, die beide auf empirischem Wissen über die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Umwelt basieren.
Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Evaluierung der verschiedenen menschlichen Aktivitäten, die das Risiko von Erdrutschen beeinflussen. Letztendlich wird UrbanSlide das potenzielle künftige Erdrutschrisiko in den rasch expandierenden tropischen Stadtzentren quantifizieren, um fundierte Entscheidungen zu erleichtern.
Das Projekt besteht aus drei Kernkomponenten:
- Mechanistisches Modul zur Gefährdung durch Erdrutsche: Zur Modellierung der physikalischen Prozesse, die zu Erdrutschrisiken beitragen.
- Auf maschinellem Lernen basierendes Modul zur Stadterweiterung: Prognose des zukünftigen städtischen Wachstums und seiner Auswirkungen auf die Anfälligkeit für Erdrutsche.
- Modul „Städtische (soziale) Anfälligkeit“: Empirische Bewertung der sozialen Aspekte des Risikos, einschließlich der Dynamik informeller Siedlungen und ihres Einflusses auf Erdrutschgefahren.
Zur Person
Dr. Ugur Öztürk erforscht die Risiken von Naturgefahren, insbesondere die räumlichen Muster von Erdrutschen. Dabei nutzt er Modelle des statistischen Lernens, um Erdrutsche besser mit ihren Auslösern wie starken Regenfällen und Erdbeben in Verbindung zu bringen. Zunehmend rücken dabei Erdrutsche in urbanen Räumen und ihre Rolle in der Stadtentwicklung in den Fokus.
Öztürk war seit 2018 Postdoc-Forscher am Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam in Sektion 2.6 „Erdbebengefährdung und dynamische Risiken“. Seit 2020 ist er am GFZ Gastwissenschaftler und vor allem am Institut für Umweltwissenschaften und Geografie der Universität Potsdam tätig. Dort hat er zwischen 2015 und 2018 auch seine Doktorarbeit angefertigt, im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Graduiertenschule „NatRiskChange”, an der auch das GFZ beteiligt ist.
Zum 01.07.2025 tritt er eine Stelle als Projektleiter am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien an. Dem GFZ wird er als Gastwissenschaftler im Rahmen des ERC-Projektes UrbanSlide weiter verbunden bleiben.
Bevor er nach Potsdam kam, hat er von 2013 bis 2015 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut Wasser und Umwelt (fwu) der Universität Siegen gearbeitet. 2012 schloss er sein Masterstudium in Bauingenieurwesen am Polytechnikum Mailand, Italien, ab, seinen Bachelor erwarb er 2010 an der Technischen Universität Istanbul in der Türkei.