Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Befüllung von geologischen Gaslagerstätten: Ursachenforschung beim wichtigsten Ereignis induzierter Seismizität in Europa

Interview mit Dr. Simone Cesca | Ursachenforschung beim wichtigsten Ereignis induzierter Seismizität in Europa im Jahr 2013

Interview anlässlich der wissenschaftlichen Diskussion darüber, welche Mechanismen 2013 zur Seismizität in Ostspanien führten und von welchen hypozentrischen Tiefen auszugehen ist.

Die sogenannte „Castor-Sequenz“ vor der Küste Spaniens nahe Valencia markiert einen der wichtigsten Fälle von induzierter Seismizität in Europa. Es war ein seltenes Beispiel für Seismizität, die durch Gasinjektion in ein erschöpftes Ölfeld ausgelöst wurde. Es gibt hunderte solcher unterirdischer Gasspeicher weltweit, wobei diese in der Regel nie eine seismische Quelle darstellen.

Die seismische Sequenz von 2013 an der Castor-Injektionsplattform im Meer umfasste jedoch drei Erdbeben der Stärke 4,1 und ereignete sich während der Erstbefüllung des geplanten unterirdischen Gasspeichers. Die Prozesse im Untergrund werden nach wie vor weiter untersucht und es wird wissenschaftlich um eine genaue Ursachenklärung gerungen. Die Befüllung von unterirdischen Gasspeichern bleibt ein hochaktuelles Thema, um die Abhängigkeit von möglicherweise schwankenden Lieferungen aus dem Ausland zu reduzieren. Auch für andere Kontexte ist das präzise Prozessverständnis wichtig, da die Injektion von Flüssigkeiten im Rahmen der Abwasserentsorgung, oder bei der konventionellen Kohlenwasserstoffgewinnung und der geothermischen Nutzung nötig ist.

Ihre neue Studie zur Castor-Sequenz legten Simone Cesca und seine Kolleg*innen legten im Jahr 2021 Nature Communications vor. Mit sehr fortschrittlichen seismologischen Techniken konnten sie die auslösenden Prozesseder Castor-Sequenz wesentlich genauer als zuvor beschreiben und bisherige wissenschaftliche Inkonsistenzen besser erklären, sodass sich ein klareres Gesamtbild ergibt. Insbesondere die Geometrie der aktivierten Störungszonen wurde besser verstanden. Liegen unterirdische Gaslagerstätten in Gebieten mit geologischen Schwächezonen (Verwerfungen), dann sollte die Seismizität grundsätzlich eng überwacht werden, da selbst Erdbeben mittlerer Stärke aber geringer Tiefe lokale Schäden an Gebäuden oder in der Lagerstätte verursachen könnten. Die genaue Ermittlung der Ursprungstiefe des Erdbebens ist daher von größter Bedeutung. Das spanisch-italienisch-deutsche Team wandte 2021 neueste seismologische Techniken auf einen erweiterten Wellenformdatensatz an, um die Geometrie der Verwerfungen genauer zu erkennen sowie um den für die Analyse so wichtigen Seismizitätskatalog zu vergrößern und auch, um Details der Bruchkinematik aufzuzeichnen.

Ihren Untersuchungen nach erfolgte die Sequenz durch fortschreitendes Versagen und Freilegen der Verwerfung, wobei die Seismizität zunächst von den Injektionspunkten wegwanderte, ausgelöst durch Porendruckdiffusion, und dann wieder zurück. Dabei brachen größere, verhakte Bereiche auf der Verwerfung, die mit höherer Spannung belastet waren, und erzeugten die größten Erdbeben. Die Seismizität trat ihren Untersuchungen nach fast ausschließlich an einer sekundären Verwerfung auf, die sich unterhalb der Lagerstätte befindet und gegenüber der Randverwerfung der Lagerstätte eintaucht.

Jüngst hat eine Gruppe von Wissenschaftler*innen diese Ergebnisse wissenschaftlich angezweifelt und das Team um Simone Cesca erwiderte auf den Kommentar im Fachmagazin Nature Communication. Im Interview dazu Dr. Simone Cesca vom GFZ, der die wissenschaftliche Antwort darauf vorbereitet hat.

 

Interview

Warum ist die Castor-Sequenz, auch nach nunmehr fast neun Jahren nach den tatsächlichen seismischen Ereignissen vor der spanischen Küste, immer noch wichtig? Warum ist sie von öffentlichem Interesse?

Dr. Simone Cesca: Die Castor-Sequenz ist bis heute der weltweit herausragendste Fall von Seismizität, welcher durch die Speicherung von Gas im Untergrund ausgelöst wurde. Bei der Gasspeicherung kommt es nur selten zu seismischen Ereignissen. Abgesehen von der Castor-Sequenz sind keine weiteren Fälle bekannt, in denen eine solche Befüllung Erdbeben mit einer Stärke von über 4 ausgelöst haben. Solche Erschütterungen werden auch von der Bevölkerung gespürt. Daher haben wir ein großes Interesse daran, zu verstehen, warum diese ungewöhnlichen Erdbeben aufgetreten sind, da sie doch eher unerwartet kamen.

Die Gründe, warum ein öffentliches Interesse an der Castor-Sequenz, nach wie vor da ist, liegen also auf der Hand. In Spanien liegt das auch an den sehr hohen Kosten, die die Gesellschaft in den nächsten dreißig Jahren infolge der Schäden an Gebäuden und Infrastruktur zu tragen hat. Zudem hat die Klage, die kürzlich gegen einige der beteiligten Betriebsleiter eingereicht wurde, großes Interesse geweckt. Diese wurden jedoch für nicht schuldig befunden, weil sie alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten. Normalerweise rufen Befüllungen von geologischen Gasspeichern keine spürbaren Erdbeben hervor.
 

Gab es weitere Gründe?

Cesca: Ja, auch nach vielen Jahren der Forschung bleibt die Interpretation der induzierten Seismizität bei der Castor-Sequenz umstritten. Leider ist dies kein gutes Beispiel dafür, dass sich das Verständnis der seismogenen Prozesse im Laufe der Zeit verbessert hat. Zwar wurden seit der seismischen Sequenz eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht, diese konzentrierten sich jedoch nur auf bestimmte Aspekte, lieferten teilweise widersprüchliche Ergebnisse und schließlich konnte man sich nicht auf ein gemeinsames Modell einigen.
 

Kommen wir zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion, worum geht es dabei?

Cesca: Die meisten Veröffentlichungen zum Castor zielten darauf ab, die seismische Sequenz zu beschreiben, zu modellieren und zu erklären. Die Wissenschaftler*innen hatten kaum andere Möglichkeiten, denn die einzige Informationsquelle waren seismische Daten. Es gibt keine anderen geophysikalischen oder geochemischen Daten, die die Interpretation unterstützen könnten, da die Castor-Sequenz nicht an Land, sondern vor der Küste stattfand. Wenn jedoch zumindest die Seismizitätsdaten exakt modelliert werden können, wird dies dazu beitragen, herauszufinden, welcher seismogene Prozess im flachen Untergrund als Reaktion auf die Gasinjektion stattfand.

Derzeit sind sich Wissenschaftler*innen noch nicht einig hinsichtlich der Tiefe der Seismizität und damit über die aktivierte Verwerfung.
 

Was haben die jüngsten Studien ergeben?

Cesca: Nach einigen Debatten sind sich die jüngsten Studien einig, dass die Verwerfung insgesamt parallel zur Küste verläuft und nach Südosten abfällt. Die Tiefe der Verwerfung ist jedoch nach wie vor umstritten.
 

In Ihrer jüngsten Studie, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, haben Sie die Genauigkeit der Hypozentren und der Parameter der Erdbeben stark verbessert. Ihr Ziel war es, frühere Ergebnisse zusammenzuführen und bis zu einem gewissen Grad auch zu erörtern, warum diese nicht vollständig konsistent waren. Es gab eine wissenschaftliche Kontroverse zu Ihrer Studie. Könnten Sie kurz schildern, worum es in dieser Diskussion ging?

Cesca: Die Diskussion betraf die hypozentrischen Tiefen und die Mechanismen, die zur Seismizität führen. Wir haben gezeigt, dass die Quelltiefe bei etwa 3 bis 4 km liegt, also knapp unterhalb des Reservoirs, indem wir eine spezielle Tiefenschätzungsmethode angewendet haben. Die Kontroverse betrifft eine größere Tiefe von 6-10 km, die in einer anderen Veröffentlichung geschätzt wurde (Villasenor et al. 2020). Der Tiefenbereich wurde jedoch für eine Reihe von Erdbeben vorgeschlagen, darunter auch einige schwache, bei denen die Tiefe vermutlich schlecht aufgelöst wurde. Betrachtet man nur größere Ereignisse (Magnitude über oder größer 4), so werden in derselben Referenz 4-7 km angegeben, was mit unserer Schätzung besser übereinstimmt.
 

Sie haben auch einen Auslösemechanismus vorgeschlagen?

Cesca: Wir vermuten eine Kombination aus Porendruckdiffusion, die die schwache Seismizität in der ersten Phase der Sequenz steuert, und dem Versagen verhakter Bereiche der Verwerfungen, die das Auftreten der späteren, stärksten Erdbeben kontrollierten. Unsere Hypothese stützt sich auf ein klares raum-zeitliches Bewegungsmuster der Seismizität. In der Diskussion wurde das Vorhandensein anderer auslösender Prozesse, wie z. B. Auftrieb, angeführt, was wir nicht ausschließen, wofür wir aber keine Beweise gefunden haben.
 

Ihre Studie hat auch gezeigt, dass ein detaillierter Blick auf die Dynamik kleiner Erdbeben auch ohne ein dichtes lokales Messnetz möglich ist. Wie funktioniert das, wie sind Sie vorgegangen?

Cesca: Nun, wir sollten erwähnen, dass eine gezielte lokale Überwachung immer wünschenswert ist. In vielen Fällen ist diese jedoch nicht verfügbar. Unsere Studie liefert ein Beispiel für eine erfolgreiche Analyse ohne ein dichtes lokales Messnetz. Dies war möglich dank des Einsatzes fortschrittlicher wellenformbasierter seismologischer Methoden wie probabilistische Quellparameter-Inversion, Template Matching und Wellenform-Ähnlichkeitsanalyse, die wir in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt haben. Ein Teil des Erfolges ist auch unserem Versuch zuzuschreiben, Quellenunsicherheiten abzuschätzen, die in früheren Studien zur Castor-Seuquenz nicht vollständig diskutiert wurden.  
 

Welche Instrumente haben Sie für die Tiefenabschätzung verwendet, da dieser Punkt sehr umstritten ist?

Cesca: Da wir nicht über gute lokale Daten verfügen, haben wir sogenannte seismische Arrays in großer Entfernung genutzt. Seismische Arrays sind viele Messstationen in einer kleinen Region. Wir haben die Daten des GERES-Arrays in Deutschland verwendet, das über 25 Messstationen verfügt. Es handelt sich um die empfindlichste Arrays in Mitteleuropa. Jede Station zeichnete die größten Ereignisse der Castor-Sequenz in Spanien auf, aber die Qualität der einzelnen Aufzeichnungen ist wegen der großen Entfernung zur Quelle schlecht. Da wir jedoch viele Stationen mit ähnlich schlechten Aufzeichnungen haben, können wir ihre Signale stapeln, um ein qualitativ hochwertiges Signal zu erhalten. Wir können dann dieses Signal modellieren, welches sehr empfindlich auf die Erdbebenquelle reagiert. Insbesondere können wir die Verzögerung zwischen zwei seismischen Phasen modellieren: Die erste breitet sich vom Erdbebenherd zum weit entfernten Empfänger aus, die zweite breitet sich nach oben zum Meeresboden aus, wo sie nach unten und erneut zum Empfänger reflektiert wird. Die Verzögerung dieser beiden Phasen wird nur durch die Ausbreitung zwischen dem Meeresboden und der Erdbebentiefe gesteuert und liefert somit wertvolle Informationen über die hypozentrale Tiefe. Wir haben verschiedene Untergrundsmodelle getestet, darunter auch die von den Autoren des Kommentars vorgeschlagenen, und fanden Hinweise auf eine geringe Tiefe.
 

Könnten Sie kurz skizzieren, welche Art von Monitoring für den industriellen Offshore-Betrieb vorgeschlagen wurde? Was haben wir aus diesem Fall an der Küste Spaniens gelernt?

Cesca: Industriebetriebe verursachen in der Regel Mikroseismizität, die nur erkannt werden kann, wenn sich seismische Sensoren in der Nähe der Betriebe befinden. Bei Offshore-Aktivitäten erfordert eine solche lokale Überwachung die Installation von Seismometern am Meeresboden sowie spezieller Geodäsie-Instrumente am Meeresboden wie sie z.B. am GEOMAR entwickelt wurden. Im Fall der Castor-Sequenz war der nächstgelegene seismische Sensor etwa 20 km entfernt (auf dem Festland), also ziemlich weit weg, und es gab nur ein Meeresboden-Seismometer in größerer Entfernung. Obwohl wir in der Lage waren, die größten Erdbeben der Sequenz zu modellieren, wäre ein solches lokales Überwachungssystem wichtig gewesen. Daher sind wir der Meinung, dass potenziell seismogene Vorgänge im Nahbereich gezielt überwacht werden sollten.

An Land ist das ja generell anders. Für Deutschland gilt beispielsweise: Bei Tiefbohrungen (> 400m) erfolgt die Überwachung möglicher Erschütterungen nach den Vorgaben der jeweiligen Landesbergbehörden, die die Regelungen des Bundesberggesetzes (BBergG) umsetzen.

Die Gasförderung ist ansonsten im Norden Deutschlands und in den Niederlanden ein Thema. Während der Arbeiten dort wird die Mikroseismizität wissenschaftlich gemonitort. In anderen Fällen, z.B. bei der hydraulischen Stimulation, bei der man Wasser injiziert, will man die Durchlässigkeit des Gesteins verbessern, um diese Energiequelle (Erdwärme) nutzen zu können. Mit Hilfe eines seismologischen Netzes kann man feststellen, ob winzige Risse geschaffen wurden, die die Wärme leiten. Seismologische Netze würden uns also in zweierlei Hinsicht helfen: Einerseits kann man damit überprüfen, ob ein Vorhaben effizient ist, andererseits könnte man damit frühzeitig erkennen, ob geologische Schwachzonen (oder Verwerfungen) vorhanden sind.
 

Wissenschaftliche Diskussionen sind komplex: Könnten Sie trotzdem noch einmal den Hauptpunkt hervorheben, warum Ihr Team mit diesem speziellen wissenschaftlichen Kommentar, den Sie gerade zu Ihrer Studie erhalten haben, überhaupt nicht einverstanden war?

Cesca: Der Kommentar enthält eine Reihe von ungerechtfertigten Behauptungen, und wir haben gerade herausgefunden, dass er zudem auf falschen Ortsangaben beruht. In dem Kommentar wird beispielsweise behauptet, dass sich große Erdbeben nicht in geringer Tiefe, wo wir das Erdbeben lokalisieren, konzentrieren. Erdbeben der Castor-Sequenz mit einer Magnitude von 4 können aber nicht als große Erdbeben angesehen werden, sondern eher als mittlere Erdbeben. Mittelstarke (und manchmal sogar stärkere) Erdbeben können sehr wohl in geringer Tiefe ihren Kern bilden. Wir haben in unserem Papier viele Beispiele dafür angeführt. Seismizität in geringer Tiefe ist vor allem sehr typisch für induzierte Seismizität. Wir sehen also kein Argument gegen unsere Tiefenschätzung. Außerdem haben wir unseren Ansatz mit verschiedenen Daten und Geschwindigkeitsmodellen getestet und sind zu recht konsistenten Ergebnissen gekommen.

Eine weitere Behauptung, der wir nicht zustimmen können, betrifft den fehlenden Nachweis einer hydraulischen Verbindung zwischen der Speicherformation und der Erdbebentiefe, mit der unser vorgeschlagener Auslösemechanismus in Frage gestellt wurde. Lokale Verwerfungen sind jedoch bekannt und sie könnten durchaus eine hydraulische Verbindung herstellen. Außerdem deuten Druckmessungen, die während der Exploration des ehemaligen Ölfeldes durchgeführt wurden, ebenfalls auf eine hydraulische Verbindung hin.

Abgesehen davon haben wir kürzlich auch gezeigt, dass einige der Daten des wissenschaftlichen Teams schlichtweg falsch waren. Uns helfen solche Diskussionen jedoch immer, denn sie führen zu sehr gesicherten Ergebnissen. So konnten wir erneut beweisen, dass das große Gesamtbild, das wir zeichnen, stimmig ist.
 

Wie geht es weiter? Wird das Thema auf der IUGG-Vollversammlung im nächsten Jahr in Berlin diskutiert werden?

Cesca: Die induzierte Seismizität wird auf der IUGG in Berlin ein wichtiges Thema sein, aber ich hoffe, dass das die Erdbebensequenz in Spanien dann nicht mehr kontrovers ist. Mit jedem neuen Beispiel, wie das vor Spanien, lernen wir dazu. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist die Gasspeicherung ein immer wichtigeres Thema, und induzierte Seismizität bei der Gasspeicherung ist etwas, das wir nicht haben wollen. Aber wenn wir es in einigen Fällen nicht vermeiden können, dann sollten wir es zumindest kontrollieren können.

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