Helmholtz-Zentrum Deutsches Geoforschungszentrum

Ein Gestein mit vielen Perspektiven

Die wechselvolle Geschichte des kambro-ordovizischen Alaunschiefers in Nordeuropa bietet Einblicke in Öl- und Gasbildung und Spuren des Lebens auf dem Mars.

Ein Gestein mit vielen Perspektiven

Die wechselvolle Geschichte des kambro-ordovizischen Alaunschiefers in Nordeuropa bietet Einblicke in Öl- und Gasbildung und Spuren des Lebens auf dem Mars.

Der Alaunschiefer Nordeuropas hat nicht nur eine bewegte Entstehungsgeschichte, verbunden mit dem Mikrokontinent Baltika, er birgt auch großes Potential als Untersuchungsobjekt für zukünftige Forschungsfragen. Geologen rekonstruieren anhand des Gesteins Prozesse der Öl- und Gasbildung, und sogar mögliche Spuren vergangenen Lebens auf dem Mars lassen sich mit seiner Hilfe identifizieren. Forschende des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam GFZ haben zusammen mit Kolleg*innen aus Kanada, China, der Schweiz und Dänemark den Wissensstand über das vielschichtige Gestein zusammengefasst. Ihr Artikel erschien im Juli im Fachmagazin Earth-Science Reviews

Der Mikrokontinent Baltika

„Dieses Gestein erzählt eine Geschichte“, sagt Hans-Martin Schulz, wenn er vom nordeuropäischen Alaunschiefer spricht. Es ist die wechselhafte Geschichte eines Mikrokontinents namens „Baltika“, der vor rund 500 Millionen Jahren auf der südlichen Halbkugel lag. „Umgeben ist der Mikrokontinent von einem ruhigen, flachen Randmeer“, schildert der Wissenschaftler in der Sektion Organische Geochemie des GFZ die Situation in der Zeit des mittleren Kambriums bis ins untere Ordovizium. Höhere Landpflanzen gibt es noch nicht, die Oberfläche von Baltika ist Wind und Wetter ausgesetzt. „Gesteine verwittern und Schutt und Staub werden ins Meer getragen. Sie rieseln zusammen mit Bestandteilen von Algen und anderen Mikroorganismen durch die Schichten des ruhigen Randmeeres und setzen sich Schicht für Schicht im sauerstofffreien Bodenwasser ab“, erzählt Schulz weiter. Diese organisch-mineralischen Ablagerungen versteinern und bilden den dunklen Tonstein, der den heutigen Alaunschiefer ausmacht. Über die Jahrmillionen wandert Baltika nach Norden und ist heute integriert in Nordeuropa. „Fast eine halbe Milliarde Jahre später bildet sich auf Baltika die Ostsee“, schließt Schulz den ersten Teil der Geschichte.

Erdöl- und Erdgasbildung in mehreren Phasen

Drei Jahre lang hat Schulz‘ Gruppe mit internationalen Kolleg*innen ihre eigenen Daten und die anderer Forschungsgruppen durchforstet. In ihrer umfassenden Zusammenschau beschreiben sie auch die verschiedenen Phasen der Öl- und Gasbildung während Baltikas Entwicklung. Teile des Mikrokontinentes sinken während der Wanderung in mehrere tausend Meter Tiefe. Unter dem Einfluss der Erdwärme bildet sich Öl. „Das damals entstandene Öl wird heute auf der schwedischen Insel Gotland und in der Ostsee vor der polnischen Küste gefördert“, erklärt Schulz. Andere Teile des Mikrokontinents kommen eher oberflächennah zu liegen, etwa im heutigen Südschweden. Dort kommt es vor etwa 300 Millionen Jahren verstärkt zu Dehnungen der Erdkruste. Magma tritt aus, durch dessen Hitze im Alaunschiefer weiteres Erdöl entsteht. „Diese eher regionalen Vorkommen sind im Gestein eingeschlossen“, beschreibt der Geologe. Zum Ende der letzten Eiszeit, vor etwa zehntausend Jahren, dringt hier süßes Schmelzwasser in den Schiefer ein. „Es trifft auf winzige Einschlüsse uralten Meerwassers. Sie enthalten Bakterien, die Jahrmillionen überdauert haben“, schildert Schulz. Das Süßwasser erweckt sie zu neuer Aktivität, weitere Bakterien sind möglicherweise im Schmelzwasser enthalten. Die Mikroben zersetzen Bestandteile des Erdöls und bilden Methangas.

Einfluss von Uran

Und damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende: Obwohl noch reichlich organisches Material vorhanden ist, sinkt das Ölbildungspotential des Alaunschiefers. Denn er enthält Uran, dessen Strahlung die eingeschlossenen Kohlenstoffverbindungen über lange Zeiträume verändert - „mit fatalen Folgen für die Ölbildung“, wie Schulz sagt. „Die langen Ketten werden abgespalten“, erläutert er. „Übrig bleiben ringförmige Kohlenwasserstoffe, überwiegend Benzolringe, die miteinander verbunden werden.“ Diese Veränderungen verhindern die weitere Bildung von Erdöl aus den organischen Überbleibseln der kambrischen und ordovizischen Lebenswelt. Seinen Ursprung hat das Uran vermutlich in den Gesteinen, die von Baltika abgetragen wurden und sich im Meer absetzten. „Und auch Meerwasser enthält Uran in gelöster Form, einen Teil des radioaktiven Metalls könnten die Sedimente daraus aufgenommen haben“, ergänzt Schulz.

Alaunschiefer hat viele Talente

Der GFZ-Forscher und sein Team untersuchen die Bedeutung der stellenweise sehr hohen Urankonzentrationen im Alaunschiefer: „Kann durch Uran verändertes organisches Material noch eine tiefe Biosphäre speisen?“, fragen sie sich beispielsweise in laufenden Studien. Oder verhindert die radioaktive Spaltung von Kohlenwasserstoffen, dass Mikroben in großen Tiefen überleben? Und nicht nur der Einfluss des Urans auf mikrobielles Leben interessiert ihn. „Der Alaunschiefer ist ein Gestein mit vielen Talenten“, meint Schulz. „Wir können an ihm zahlreiche Prozesse in unterschiedlichen Tiefenlagen, bei unterschiedlichen Reifegraden der organischen Materialien, verschiedenen Urankonzentrationen und teilweise extremen Bedingungen untersuchen.“

Selbst zur Frage nach vergangenem Leben in 70 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde hält der Alaunschiefer möglicherweise Antworten parat: Auf dem Mars wurden organische Komponenten gefunden, die strukturelle Ähnlichkeiten mit denen haben, die im Alaunschiefer vorkommen. Und ähnlich wie im uranhaltigen irdischen Tonstein, waren diese Moleküle über lange Zeiträume der ebenfalls radioaktiven kosmischen Strahlung ausgesetzt. „Es könnte sich bei diesen Kohlenwasserstoffverbindungen also um veränderte Überreste von Organismen handeln, die unseren früheren Bakterien ähneln“, erklärt Schulz. „Der Alaunschiefer dient uns als Mars-Analog, um die möglichen Spuren vergangenen Lebens auf unserem Nachbarplaneten zu deuten.“

Mögliche Erkenntnisse zur Endlagerung von Atommüll

Für uns auf der Erde ist ein weiterer Aspekt seiner Forschung aktuell: Neben Salzen und Graniten ist Tonstein ein Kandidat für die Endlagerung von atomarem Müll. „Auch hierzu haben wir Ideen für künftige Projekte“, verrät Schulz. „Im Kern geht es dabei um die Frage nach mikrobiellem Leben über lange Zeiträume im porenarmen, uranreichen Alaunschiefer – doch diese Geschichte steht auf einem anderen Blatt.“

(Text: Dr. Ulrike Schneeweiß)

Originalpublikation: Schulz, H.-M., Yang, S., Schovsbo, N. H., Rybacki, E., Ghanizadeh, A., Bernard, S., Mahlstedt, N., Krüger, M., Amann-Hildebrandt, A., Krooss, B. M., Meier, T., Reinicke, A. (2021): The Furongian to Lower Ordovician Alum Shale Formation in conventional and unconventional petroleum systems in the Baltic Basin – A review. Earth-Science Reviews, 103674. DOI: 10.1016/j.earscirev.2021.103674

Wissenschaftlicher Kontakt:

Priv. Doz. Dr. Hans-Martin Schulz
Sektion Organische Geochemie
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-1789
E-Mail: schulzhm@gfz-potsdam.de

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Dr. Uta Deffke
Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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