Defizite
Bei den oben dargestellten Entwicklungen wurden über viele Jahre tiefgreifende Erfahrungen im geowissenschaftlichen Daten- und Informationsmanagement gemacht. Durch die zunehmende Anzahl von interdisziplinären Nutzern werden höhere Anforderungen an die angebotenen Systeme gestellt. Diese Aufgaben können unter inhaltlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur von einem Verbund von Organisationen bewältigt werden.
Benutzerschnittstellen und übergreifende Nutzung von Datenbeständen
Die angebotenen Benutzeroberflächen geowissenschaftlicher Datenbanken werden allgemein als wenig nutzerfreundlich empfunden. Die dort derzeit verfügbaren Suchwerkzeuge erlauben keine intuitive oder explorative Suche. Der Benutzer muss schon ungefähr wissen, welche Daten ihm zur Verfügung stehen.
Es besteht Bedarf an einem einheitlichen Zugang (Portal) zu Daten, Visualisierungs - und Modellierungswerkzeugen sowie Mehrwertdiensten, die das Erkunden der geowissenschaftlichen Datenbestände unter Einbindung der verteilten Virtuellen Fachbibliothek Geowissenschaften ermöglichen.
Von besonderer Bedeutung sind Werkzeuge zur Visualisierung von Daten in Form von Diagrammen und Karten. Da die vorliegenden Daten und Dokumente fast ohne Ausnahme georeferenziert sind, wird Web-basierte GIS-Funktionalität benötigt, um den räumlichen Bezug der Daten nutzen und darstellen zu können.
Trotz der wachsenden Datenbestände stellt sich das Angebot aus der spezialisierten Sicht eines einzelnen Nutzers eher statisch dar. Der Benutzer bemerkt Veränderungen des Angebots selten oder gar nicht. Den vorhandenen Systemen fehlen Werkzeuge, die den Nutzer auf neue Daten in seinem Interessensgebiet hinweisen und bei Suchanfragen auf ähnliche, möglicherweise geeignete Datensätze und Literaturquellen aufmerksam machen. Die Personalisierung von geowissenschaftlichen Online-Portalen befindet sich jedoch erst in der Anfangsphase und keines der existierenden Portale bietet bisher die Möglichkeit, Suchanfragen für eine spätere Verwendung zu speichern. Gerade in diesem Bereich kann auf entsprechende Erfahrungen und Produkte in Bibliotheken zurückgegriffen werden (vgl. als Beispiel: personalisierter Zugang zum Kooperativen Bibliotheksverbund Berlin Brandenburg).
Bibliothekarische Anwendungen nutzen zunehmend Konzepte wie OpenURL, um von der Anzeige eines Ergebnisses aus weitere relevante Suchperspektiven aufzuzeigen. Dies kann auch ein Weg sein, geowissenschaftliche Daten und Literaturdaten beliebig miteinander zu verknüpfen.
Ein besonders wichtiger Aspekt der Informationsverwertung bleibt trotz aller Hilfsmittel die persönliche Kommunikation. Noch werden interaktive Dienste, wie z.B. Online-Foren, Newsletters, oder virtuelle Abstimmungen nur in geringem Umfang in geowissenschaftlichen Informationssystemen genutzt.
Klassifikationsschemata und Thesauri im geowissenschaftlichen Kontext unterliegen häufigen Veränderungen und bedürfen besonders sorgfältiger Behandlung. Noch ist das Wortgut der Thesauri in geowissenschaftlichen Datenbanken in den seltensten Fällen kompatibel mit dem Wortgut der in Bibliotheken genutzten Thesauri und Klassifikationen. Hier sind wesentliche Synergieeffekte bei der Zusammenarbeit von Bibliotheken und Geowissenschaftlern zu erwarten.
Nutzer sind heute gezwungen, in vielfältigen, einzelnen Systemen zu recherchieren. Datenbankübergreifende Recherchen sind meist nicht möglich. Gerade in multi-disziplinären Feldern wie der Paläoklimaforschung sind diese jedoch von großer Bedeutung.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft veröffentlichte 1998 Empfehlungen als "Regeln guter wissenschaftlicher Praxis". Unter anderem heißt es: "Primärdaten als Grundlagen für Veröffentlichungen müssen auf haltbaren und gesicherten Trägern in der Institution, wo sie entstanden, für zehn Jahre aufbewahrt werden". Für viele geowissenschaftliche Fachbereiche und Arbeitsgruppen ist die Langzeitsicherung ihrer Daten problematisch, da ihnen die notwendige Infrastruktur fehlt. Als Folge ist der langfristige Zugang zu wissenschaftlichen Daten nicht gesichert.
Qualitätsmanagement und Publikation von Daten
Der Wert von Daten für eine spätere interdisziplinäre Nutzung wird bereits bei der Datenerfassung bestimmt. Im Fall der sensorbasierten Datenerfassung, z.B. in der Erdbeobachtung, kann eine vollständige Automatisierung von der Messung über die Prozessierung bis hin zu anwendungsorientierten Informationsprodukten erreicht werden. Der Verarbeitungsprozess von der Registrierung am Sensor über die Datenprozessierung bis hin zum entscheidungsunterstützenden System ist weitgehend automatisiert. Die Verarbeitung der Daten kann ggf. mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, sodass Messergebnisse unmittelbar ausgewertet werden können.
Im Fall der manuellen Datenerfassung, z.B. an Bohrungen, werden Befunde und Beschreibungen mit Hilfe geeigneter Software eingegeben. Diese Daten werden zusammen mit strukturgeologischen, chemischen und physikalischen Analysedaten gespeichert und integriert, wodurch die Datenkonsistenz gesichert werden kann. Für die Aufnahme von punktuellen, linearen und flächenhaften Objekten im Rahmen der geologischen Geländeaufnahme oder für die Auswertung von Satelliten- und Luftbildern können Anwendungen von Geoinformationssystemen (GIS) in Kombination mit GPS-Geräten eingesetzt werden.
Die Datenerfassung wird heute in erster Linie von einzelnen Projekten organisiert und ist ohne eine geeignete Unterstützung auf die speziellen Bedürfnisse des Projektes ausgerichtet. Eine spätere Aufbereitung und Anpassung an gemeinsame Standards ist nur mit hohem Aufwand möglich.
Erfahrungen zeigen, dass im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten gewonnene Daten nur selten zugänglich gemacht werden, und schon gar nicht vor ihrer Veröffentlichung. Dafür werden zwei wesentliche Gründe genannt: (1) Dem großen Aufwand, Daten für die Speicherung in einer Datenbank aufzubereiten, steht derzeit kein unmittelbarer Nutzen für den Autor gegenüber. (2) Bei Daten, die schon vor ihrer Veröffentlichung in Fachzeitschriften in die Datenbank aufgenommen werden, wird von den Autoren befürchtet, dass es zu einer missbräuchlichen oder unautorisierten Verwendung der Daten kommen kann, gewissermaßen zum "Datendiebstahl".
Als Standard für die Veröffentlichung von geowissenschaftlichen Daten ist das heutige wissenschaftliche Wertesystem auf die "klassische" Form der Publikation in renommierten Zeitschriften fixiert. Die Publikation von digitalen Daten als Grundlage für weitergehende Untersuchungen ist in diesem System nicht vorgesehen. Im Vergleich mit der klassischen Form der Publikation als Artikel in einer renommierten Zeitschrift hat die Publikation von Daten bisher keinen vergleichbaren Status.
Von den Nutzern wird bemängelt, dass meist keine Informationen über die Qualität der Daten vorliegen. Das führt zu einem mangelnden Vertrauen in die Qualität der Daten und schwächt somit die Akzeptanz der Datenbanken. Eine verbindliche Regelung für das Qualitätsmanagement geowissenschaftlicher Daten existiert bislang nicht.
Die Publikation von Daten beinhaltet die Zertifizierung definierter Qualitätseigenschaften und wird durch unabhängige Institutionen durchgeführt. Dem publizierten Datensatz werden ein Qualitätssiegel und eine elektronische, eindeutige Identifizierung (DOI bzw. URN) verliehen. Gleichzeitig muss die langfristige Sicherheit und Nachnutzbarkeit des Datensatzes sichergestellt werden.